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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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großen Schlanken:
    ‚Sagen Sie ganz ehrlich, wenn ein Mann Ihre Frau Schlampe nennen würde, was würden Sie tun?’
    Der Mann zeigte kein Anzeichen von Entsetzen.
    Ich fragte weiter: ‚Haben Sie Kinder? Haben Sie ein Mädchen?’
    ‚Ja’, antwortete er, ‚ein siebenjähriges Mädchen namens Sandra.’
    ‚Sagen Sie ganz ehrlich’, fragte ich, während er mit dem Zollbeamten Formulare austauschte, ‚was würden Sie einem Mann antun, der Ihre Tochter vergewaltigt, ein Erwachsener, der in ein kleines Mädchen eindringt und es regelrecht zertrümmert, was würden Sie tun, verflucht?’
    ‚Halten Sie den Mund!’, fauchte er mich an. In seinen Augen war die Vorstellung wie ein Albtraum und ich lächelte zufrieden: ‚Sie sind ein Mensch, ein normaler, guter Vater, mit einem Herzen und einer Seele. Gott möge helfen, dass Sie diese Frage nie beantworten müssen. Mir hat dieser verfluchte Trunkenbold die Zukunft ruiniert, weil er meine Prinzessin eine Schlampe genannt hat.’«
    v
    Ahmed hüstelte und fuhr fort.
    »Der Polizist muss mich lange angeschaut haben, denn als ich mich umdrehte, fixierte er mich noch, während ein anderer Beamter mich zum Gate B 56 begleitete, ein junger Zivilpolizist, der wie ein Student aussah und mich unweigerlich an den Professor erinnerte, der mich bestimmt in ein paar Tagen empfangen und mir einen Vortrag halten würde.
    Der Flug war angenehm. Als der Bildschirm vor mir die Höhe von sage und schreibe neuntausendfünfhundert Metern anzeigte, nahm ich den Brief von Heidi und las:

    Mein Liebster!
    Du hast mir so viele schöne arabische Gedichte aufgesagt und Lieder gesungen, auch ich will dir ein Gedicht sagen, das ein Mann schrieb, vor vielen, vielen Jahren, er hieß Johann Wolfgang von Goethe:
    ‚Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide! Allein und abgetrennt von aller Freude, seh‘ ich ans Firmament nach jener Seite. Ach! Der mich liebt und kennt, ist in der Weite. Es schwindelt mir, es brennt mein Eingeweide. Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide!’
    Siehst du, Liebster, auch wir können Liebesgedichte schreiben …
    Mein Herz wird nicht mehr wie früher schlagen, als du da warst, meine Träume werden nicht mehr so schön sein, wie als du neben mir lagst, mein Tag wird nicht mehr so fröhlich wie mit dir beginnen und meine Nächte werden düster und einsam sein ohne dich! Schreibe ich nicht wie eine Araberin, eine blonde Araberin mit blauen Augen? Ich wäre gerne Araberin für dich, ich wäre gerne Dichterin für dich, ich wäre so gerne eine Frau für dich!
    Ich liebe dich von ganzem Herzen und wenn es irgendeinen Weg gibt, dich wiederzufinden, dann werde ich alle Strapazen auf mich nehmen und dich aufsuchen. So wie du – ungewollt vielleicht – deinen steinigen Weg zu mir gefunden hattest, werde ich meinen Weg zu dir finden. Sei gewarnt, mein Freund, eines Tages klopfe ich an deine Tür oder vielmehr rufe ich vor deinem Zelt! Das Foto von mir soll dich immer an mich erinnern.

    Ich liebe dich.
    Deine Prinzessin Heidi

    Sie erwähnte mit keiner Silbe die zehn Noten, die im Briefumschlag waren. Daran erkennt man eine taktvolle, erhabene Frau: Sie muss dir nicht sagen, was sie für dich tut, sie tut es einfach. Und hätte sie neben mir gesessen, ich hätte ihr tief in die Augen geschaut und gesagt:
    ‚Ich werde dich niemals vergessen, ich werde immer von dir erzählen, und wenn ich keine Zuhörer finde, dann werde ich den Sternen und Kamelen, der Wüste und den Bergen, dem Meer und dem Sand von dir erzählen. Alle und alles soll wissen, dass es dich gibt.’
    Die zehn Geldscheine waren lila und trugen oben rechts in kleinen Ziffern und in der Mitte zweimal in Großschrift eine Zahl: Eintausend! Das Porträt eines Mannes war darauf abgebildet, wahrscheinlich Dichter oder Künstler, vielleicht einer ihrer frühen Präsidenten, was weiß ich. Wisst ihr, was das war? In diesem Briefumschlag waren zwei Jahreslöhne eines tunesischen Angestellten!
    Ich verheiratete meine beiden Schwestern, investierte in zwei neue Kamele, die bei einem Partner in Sousse untergebracht sind, und kaufte ein Handy … Heidi ruft mich wöchentlich an und wir schmieden Pläne, von denen ihr euch gar keine Vorstellung macht.«
    Ahmed nahm tief Luft und atmete wieder aus, schaute zum Himmel hinauf und sagte nach einer Pause:
    »Freunde, das passierte alles, so wahr ich hier sitze, letztes Jahr. Und nun löse ich heute Abend ein Versprechen ein, ich erzähle euch von Heidi, meiner

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