Der träumende Kameltreiber (German Edition)
In der Steppe
»Also gut«, sagte Ahmed und setzte sich im Schneidersitz vor sein Zelt.
»Koch uns den besten Tee, Mansour, denn das ist eine besondere Nacht!«
Mansour grub mit der linken Hand ein Loch in den sandigen Boden, so groß und tief wie ein Suppenteller. Dann legte er winzige, dürre Zweiglein und trockene Blättchen hinein und stellte ein paar größere Zweige zu einem Dreieck auf. Jemand fragte ihn, ob er ein Stück Papier benötige. Er lachte nur und antwortete: »Glaubst du, in der Wüste liegt Zeitungspapier herum? Ich mache es ohne.«
Dann zündete er mit einem Streichholz vorsichtig die unteren Zweige an, die kleine Flamme stieg bis zu den dickeren Stückchen und loderte schon, als er, wieder mit der linken Hand, Holzkohlenstücke einzeln ins Feuer legte, langsam und vorsichtig, dennoch sicher und mit ruhiger Hand, sodass er die Kohlestückchen erst losließ, als die Flamme ihm die Finger zu verbrennen drohte. Nach mehreren Kohlestücken ergab sich eine schöne, regelmäßige Glut, er blies hinein und entfachte das Feuer erneut, gab weitere Kohle hinzu und sah schließlich triumphierend in die Runde, als die Glut das ganze Loch füllte. Die Gäste kannten das Procedere, aber es war jedes Mal spannend und ungewiss, ob es auf Anhieb gelingen würde oder mehrere Versuche nötig waren. Mansour war ein Profi. Jetzt stellte er den kleinen, außen blauen, innen weißen Teekessel, den er zuvor bis knapp über die Hälfte mit Wasser gefüllt hatte, in die Glut. Danach gab er mit der Rechten drei Handvoll Zucker und zwei Handvoll grünen Tee hinein, schlug mit einer lässigen Handbewegung den Deckel zu und sagte:
»Nun gut, leg los, Erzähler!«
Der verbrannte Zucker, der in die Glut gefallen war, verbreitete einen Duft von Karamell.
Ahmed band seinen Turban enger, klatschte in die Hände und sagte:
»Ihr wollt also meine Geschichte mit Prinzessin Heidi erfahren? Dann macht es euch gemütlich, ihr Banausen, ihr Nichtswisser, ihr armen Schlucker, die ihr nie mehr von der Welt gesehen habt als so viel, wie ihr auf lahmen Kamelen und aus uralten Peugeots erblicken konntet und nie mehr über die Länder Gottes erfahren habt, als man euch erzählt hat, bis auf eine Ausnahme in dieser Runde. Rückt näher, wenn ihr zu den Wissbegierigen zählt, horcht, Freunde, denn hier erfahrt ihr eine ganz tolle Geschichte!«
Ahmed war ein großer, gut aussehender junger Mann. Seine Augen glänzten im Feuer und seine Blicke in die Runde seiner Freunde waren scharf und herausfordernd.
»Ihr habt sicher viele Geschichten gehört über Araber und Touristinnen, die sich verliebt haben. Ihr habt vielleicht auch Berichte bekommen über Araber, die nach Europa gingen und dort glücklich sein sollen. Das sind alles Lügen, Jungs, die meisten von ihnen werden in Europa depressiv, fangen an zu trinken und ihren Frauen Geld zu stehlen. Meine Geschichte ist aber schönste Wahrheit und wahrste Schönheit, obwohl sie sich wie ein Märchen anhört. Ihr habt alle etwas gemeinsam mit mir: Ihr habt versucht, nach Europa zu gehen, wie die meisten jungen Nordafrikaner. Wer will nicht dorthin? Nun, nur jener will dorthin, der keine Ahnung hat, wie es dort ist. Seid alle froh, dass eure Versuche gescheitert sind. Bis auf eine Ausnahme in unserer Runde ist euch allen etwas erspart geblieben.«
Mit der Ausnahme meinte er einen Freund im Halbkreis, der es bis in den Norden Deutschlands geschafft hatte.
Die Freunde Ahmeds waren alle im Tourismus tätig. Sie bildeten einen Halbkreis um ihn. Zu seiner Rechten saß der Teespezialist Mansour. Er konnte einen Tee zubereiten, der einem die Zunge am Gaumen kleben ließ, so stark und süß kochte er ihn. Er war Kellner im maurischen Café eines kleinen Hotels in Sousse und lebte weit weg von seiner Familie, die im Süden des Landes eine kleine Landwirtschaft betrieb. Monatlich ging er für ein Wochenende nach Hause, lieferte einen Teil seines Lohnes ab und kehrte dann nach Sousse zurück, um wieder einen Monat lang für wenig Geld hart zu arbeiten. Sein letzter Versuch, nach Europa zu gelangen, war mit einer Frau verbunden gewesen; das war der einfachste Weg. An einem freien Tag hatte er im Markt eine deutsche Touristin getroffen und ihr bei der Auswahl eines Tongefäßes geholfen. Er hatte gesehen, wie sie mit dem Verkäufer diskutierte, der sie anscheinend nicht verstand. Mansour sprach gut Deutsch und hatte für sie auf tunesisch gefeilscht. Als er dann gehen wollte, hatte die junge Frau darauf
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