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Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Der träumende Kameltreiber (German Edition)

Titel: Der träumende Kameltreiber (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amor Ben Hamida
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Sie beleidigen sie, sie vergewaltigen sie, sie schlagen sie, ohne dass jemand aufsteht und Rache nimmt. Es ging so weit, dass ein kleiner Junge von zwei Hunden, Raubtieren, keine Hunde, wie wir sie kennen, zerfetzt wurde und der Besitzer ein paar Monate absaß und dann wieder freigelassen wurde. Eine Gesellschaft, die ihre Kinder von Hunden fressen lässt und dabei die Verantwortlichen nicht bestraft, seid ehrlich, in so einer Gesellschaft will keiner von uns leben. Ich suchte in dieser Zelle nach Argumenten, warum ich abhauen wollte. Vielleicht war es einfach unglaubliches Heimweh. Ihr müsst wissen, dass ich bis zu dieser Reise nach Europa niemals weiter weg war von zu Hause als einige Kilometer oder einen Kamelritt entfernt. Wie ihr ja alle auch, außer einem von euch, natürlich.
    Heidi konnte nicht glauben, dass ich nun in den Fängen der Justiz und dieser karrieresüchtigen Beamten war, die wieder einmal einen Erfolg melden wollten, einen faulen Fisch, der ihnen ins Netz gegangen war. Ich gönnte ihnen den Erfolg und die Freude darüber von ganzem Herzen. Heidi sagte mir, sie würde einen Anwalt nehmen, den besten der Stadt, der habe noch nie einen Fall verloren, und ich antwortete, nicht einmal der höchste Anwalt der Welt würde mich hier herausbringen, denn ich wollte nicht mehr verteidigt werden. Ich weiß nicht, ob sie verstand, wen ich mit dem ‚höchsten Anwalt’ meinte, aber ich konnte sie davon abhalten, irgendwelche Juristen mitten in der Nacht mit meinem Fall zu behelligen.
    Sie saß bis ein Uhr nachts mit mir da. Wir sahen unseren Traum in Rauch aufgehen. Wir konnten es nicht fassen. Die Beamten hatten fast Mitleid mit mir, ich glaube, sie vergaßen, was ich diesem armen Teufel angetan hatte. Ich schaute Heidi wie immer tief in die Augen, als ich auf ihre Frage ‚Warum hast du diesem Mann nicht einfach aus dem Weg gehen können?’ antwortete ‚Wenn jemand mich beleidigt, meine Seele und mein Wesen in den Dreck zieht, wenn jemand mich anpisst, dann bin ich Manns genug, um es wegzustecken, wenn die Umstände es erfordern. Aber es gibt vier Frauen auf dieser Welt, für die ich nichts einstecken kann: meine Mutter, dich und meine beiden Schwestern. Niemals sagt irgendjemand etwas gegen euch, ohne eine gebrochene Nase davonzutragen.’
    Sie heulte wieder und ich musste sie gegen halb zwei regelrecht wegschicken.
    Am Freitag, es war Mitte Februar, bekam ich ein Frühstück, vielleicht nicht so üppig wie in Klosters, aber es war in Ordnung. Die Beamten arbeiteten schnell in Zürich: Sie hatten schon den Ausschaffungsbefehl eines Richters, und dies um neun Uhr morgens. Auch ihre Richter sind Frühaufsteher. Das Verfahren wurde vielleicht auch durch meine Bereitschaft beschleunigt, das Land so schnell wie möglich, dafür in Würde, zu verlassen.
    Ich sollte am Samstag abfliegen. Sogar ihr Vater kam vorbei und bedauerte die Situation, entschuldigte sich, dass er nichts unternehmen konnte. Ich fragte ihn nach ‚Madame’ und er antwortete mit trauriger Stimme:
    ‚Sie hat noch einige Monate.’
    Ich drückte ihm lange die Hand und musste den Kopf senken vor diesem Respekt einflößenden Mann, der in seinem Leben so viel aus so wenig gemacht hatte. Nur die Krankheit seiner Frau konnte er nicht abwenden. Ich dachte an eine Stelle im Koran, die Lotfi unterwegs im Wald erwähnt hatte:
    ‚Glaubt denn der Mensch, dass sein Vermögen ihn mächtig macht?’
    Kein Geld der Welt konnte diese Krankheit aufhalten und kein Geld der Welt konnte verhindern, dass ich am Samstag abfliegen würde.
    Ich konnte in dieser Zelle nachdenken, über meine Welt und jene Welt. Und obwohl mein Vater immer gesagt hatte, die Heimat trage man im Herzen und könne sie somit nie mals verlassen, hatte ich Sehnsucht nach etwas, das nicht mehr in mir war, das ich zu verlieren glaubte. Ich sah plötzlich diese Rolltreppen mit rennenden Menschen und bewunderte sie nicht mehr wegen ihrer Tüchtigkeit, sondern bemitleidete sie wegen des Drucks, den sie haben mussten. Und jene, die im Zug arbeiteten und telefonierten, kamen mir nicht mehr wie erfolgreiche Geschäftsleute vor, sondern wie arme Unterdrückte. Sie mussten rennen, von morgens bis abends. Sie verließen ihre Wohnungen und Familien in der Dunkelheit und kamen in der Dunkelheit aus den Bars nach Hause. Wann lebten diese Menschen? Sie taten dies alles, nicht weil sie es wollten. Ich verstand, dass dies alles, auch das Rasen auf Straßen und in den Läden, aus Zeitdruck geschah.

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