Der träumende Kameltreiber (German Edition)
ein organisiertes Geschäft, dieses Kamelreiten.
Was also sollte ich in der nächsten Saison tun? Ich hatte keine Ahnung von Service, Küche, Rezeption oder gar Animation. Mein Französisch war schlecht, andere Sprachen konnte ich nicht. Sollte ich zum »Beznesser« werden und anfangen, Europäerinnen auszunehmen? Sollte ich mich gar einer Europäerin hingeben? Gegen Geld, versteht sich. Sollte sich Ahmed, Sohn des Hadj Mahmoud Ben Soltane, prostituieren? Oder sollte ich eine ehrliche Beziehung mit einer Europäerin eingehen, sie heiraten, nach Europa fliegen und dort mein Leben verbringen? Und was würde aus meiner Familie? Was wäre, wenn ich in Europa nicht sofort Geld verdienen könnte? Oder sollte ich weiterhin in diesem Kamelrittmarkt mitkämpfen?
Es war Sommer und somit Hochsaison, als ich Moncef, den Professor, zu einem Tee einlud und um ein Gespräch bat. Die meisten Touristenangestellten denken in der Hoch saison nicht an ihre Zukunft. Die Arbeitslosigkeit trifft sie dann im November wie aus heiterem Himmel, Jahr für Jahr. Nicht aber mich, Ahmed Ben Soltane! Ich wollte über den November nachdenken, als der Juli erst begann. Ihr kennt ja alle Professor Moncef. Und ihr wisst alle, dass er nicht wirklich Professor ist. Er ist einer der Ersten aus der Gegend, der Informatik studiert hat, an der Ecole Polytechnique de Tunis. Danach ging er vier Jahre nach Kanada, um sich zu spezialisieren. Niemand hatte damals damit gerechnet, dass er nach Sousse zurückkehren würde. Aber er kam zurück. Und das gab mir doch etwas zu denken. Warum hatte jemand die Möglichkeit, in Kanada zu leben, nicht ergreifen wollen? Warum war er zurückgekommen? Jedenfalls kam er mit einem Block Papier und einem Bleistift. Wir trafen uns im Café Ennour. Ich schilderte ihm mein Problem, als ob ich vor einem Wahrsager säße. Er machte Notizen, Kreise, Striche, Pfeile. Keine Ahnung, was das für eine Methode war, aber er war für mich der Professor.«
Jamel wandte sich leise zu Samia: »Das ist eine Entscheidungsmatrix oder ein Diagramm, das lernt man nicht nur an der EPT und man muss vor allem kein Professor sein, um das zu kennen.«
Ahmed räusperte sich und fuhr fort.
»Ich saß also mit ihm in diesem Café und erzählte ihm meine Lebensgeschichte, meine damalige Situation und meine Zukunftspläne. Er schlürfte genüsslich an seinem Tee, zeichnete weiter an seinem Bild, dann – fast triumphierend – zog er einen doppelten Strich unter ein Wort, unten rechts am Blatt. Das Wort lautete Europa !
Der Professor steckte den Bleistift auf sein rechtes Ohr, hob die offenen Hände hoch und sagte: ,Du musst nach Europa!’ Ich muss sagen, ich war etwas enttäuscht, darauf wäre ich auch selber gekommen und hätte nicht diese wissenschaftliche Befragungsmethode benötigt. Natürlich hatte ich mir auch schon vorgestellt, eine Touristin während eines romantischen Kamelritts anzusprechen, aber das war doch lächerlich. Wieso sollte eine Europäerin einen Kameltreiber mit nach Europa nehmen? Aber der Professor hatte eben keine Europäerin gemeint. Er schaute mir lange in die Augen und sagte in ernstem Ton:
,Wenn ich alle Informationen auf diesem Blatt analysiere, dann hast du einen traditionsbewussten, gläubigen Onkel in Paris, der eine heiratsfähige Tochter hat. Ruf ihn an, mach ihm einen Vorschlag.’
Ich lachte nur, denn ich wusste, was der Professor mit ‚Vorschlag’ meinte. Er verstand darunter, dass ich einen Betrag nennen sollte als Gegenleistung für einen Heiratsvertrag mit einer Tunesierin, die die französische Staatsbürgerschaft besaß. Ich lächelte ihn beschämt an, aber er verzog keine Mine und ich sah den vollen Ernst seines Vorschlags.
,Bezahl den Tee und überleg dir meine Lösung’, sagte er und verschwand. Ich saß da und dachte nach. Wisst ihr, ich hatte während des Gesprächs fast unabsichtlich erwähnt, dass ich einen Onkel habe, der eine Tochter hat … Der Professor hatte mich über alles ausgefragt und so muss auch diese Familie, die im 18. Arrondissement von Paris wohnt, zur Sprache gekommen sein. Seinen ganzen Plan hatte er dann darauf gebaut: Ich sollte sie heiraten, denn ihr Vater würde es bestimmt nicht zulassen, dass sie einen Christen nimmt. Danach sollte ich entweder mit ihr glücklich werden oder sie nach einer gewissen Frist verlassen, legal, versteht sich. In Frankreich könnte ich als Arbeitsloser mehr Geld nach Hause schicken, als ich in Tunesien bei Vollbeschäftigung und Nebenjob
Weitere Kostenlose Bücher