Der transparente Mann (German Edition)
Tasche herum, zog die Handschuhe heraus und drehte sie in ihren Händen zu einer Wurst.
»Damit kommst du bestimmt gut durch den Winter«, bemerkte Marc mit liebevollem Lächeln.
»Damit schon … aber ohne dich nicht.« Nun war es gesagt.
»In fünfzehn Minuten geht mein Flug.« Marc schaute sie so verwirrt, so süß, so ernst und so eindringlich an, dass sie ihn am liebsten auf der Stelle geküsst hätte.
»Vielleicht gibt es ja noch einen Platz in der Maschine, wenn ich mich beeile. Vorausgesetzt du hast nichts dagegen, dass ich dich begleite?«
Das Leuchten in seinen Augen war der Startschuss. Joe sprintete los. Sie musste sich sputen. Bis zum Ticketschalter waren es einige hundert Meter. Zum Küssen blieb im Flieger noch reichlich Zeit.
Eine halbe Stunde später saß sie mit Marc im Airbus. Sie waren auf dem Weg ins ehemalige Königreich Burma, das 1989 in »Myanmar« umgetauft worden war.
Auch dreitausend Meilen später konnte Joe noch nicht schlafen, denn ihr Herz tanzte beim Gedanken an all die Abenteuer, die sie jetzt gemeinsam mit Marc erleben würde, an saftig grüne Reisfelder, die Gebete der Mönche und die weißen Berge, die an der Grenze zu Tibet über fünftausend Meter hoch in den Himmel ragen, als wollten sie Gott persönlich die Hand schütteln. Vor ihrem geistigen Auge sah sie den malerischen Inle-See mit seinen schwimmenden Gemüsegärten, die von Frauen abgeerntet werden, die in winzigen Nussschalen-Booten sitzen und dabei majestätisch dicke Zigarren rauchen. Marc hatte ihr Bilder davon in seinem Reiseführer gezeigt. Sie freute sich auf die goldglänzende Schwedagon-Pagode der Hauptstadt Rangún, die kleinen Stupas und prächtigen über und über gold- und edelsteingeschmückten Gebetshallen, in denen die acht Haare Buddhas verwahrt und verehrt werden. Joe fühlte sich, als flöge sie mit Marc in eine Zauberwelt. Alles kam ihr so unglaublich unwirklich vor.
Langsam konzentrierte sie sich wieder auf sich und reduzierte ihre Empfindungen auf ihre Hand, die die seine hielt, und auf ihre Lippen, an denen noch der Geschmack seines Mundes haftete. Berauscht von all dem Glück dachte Joe zurück an die vielen Turbulenzen der letzten Wochen und Monate. Sie dachte auch an Konstantin. In einem Punkt hatte er wahrlich Recht behalten: Jedes Negative hatte auch etwas Positives. Dankbar blickte sie zur Seite. Mit einem Lächeln um den Mund döste der Anlass ihres Glückes vor sich hin.
Plötzlich fiel Joe siedend heiß ein, dass sie Marc niemals gefragt hatte, wo er eigentlich gewesen war, als sie ihn an jenem Morgen vergeblich mit Frühstückscroissants hatte überraschen wollen. Doch sofort musste sie über sich selbst lachen. Es gab nichts zu fragen, es gab auch keinen Grund zur Eifersucht. Diesmal nicht. Joe brauchte keinen Transparenten Mann, um sich bei Marc sicher zu fühlen. Sie wusste, dass sie sich diesmal nur auf ihr Gefühl verlassen konnte. Ganz deutlich spürte sie, dass es ein verdammt gutes Gefühl war.
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