Der Traum der Hebamme / Roman
ihr jüngerer Bruder, trat schützend vor sie, und der kleine Konrad, der nun drei Jahre alt war, tat es ihm nach.
Boris lachte. »Ein Riese? Nein, meine Schöne!« Er hockte sich vor Änne hin, damit sie auf gleicher Augenhöhe waren. »Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«
Es war nicht zu übersehen, dass die Kinder vor Neugier fast platzten.
Boris von Zbor senkte seine dröhnende Stimme und flüsterte: »In Wahrheit bin ich ein zu groß geratener Zwerg.«
Änne prustete vergnügt.
Der Zboraer richtete er sich wieder auf und nahm Clara dankbar den Becher ab, in den sie ihm Bier eingeschenkt hatte.
»Ihr zwei seid tapfere Burschen«, sagte er anerkennend zu den beiden Jungen und strich ihnen übers Haar. »Kommt ganz nach dem Vater! Gott schütze ihn im Heiligen Land! Und Euern Bruder, Clara!«
Er bekreuzigte sich, dann setzte er sich an den Tisch und trank einen kräftigen Schluck.
Warmherzig sah er auf die Kinder und sagte zu Clara: »Geht einem nicht das Herz auf bei diesen kleinen Menschenwesen?«
Clara musste lächeln. »Ja, das tut es. Auch wenn sie manchmal schwerer zu hüten sind als ein Sack Flöhe.«
Das ließ sie an ihrem einfachen, zerknitterten Kleid heruntersehen, an dem die Jungen mit ihren schmutzigen Händen deutliche Spuren hinterlassen hatten. Und ihr Schleier saß bestimmt auch nicht mehr richtig.
»Da wir Gäste haben, sollte ich mich umziehen«, sagte sie verlegen. »Habt Ihr die Güte und wartet so lange?«
Sie rief nach Lisbeth, damit diese sich um die Kinder kümmerte, und huschte die Treppe hinauf. Nach einigem Hin und Her entschied sich für ihr bestes Kleid, dunkelgrün mit farbenprächtigen Stickereien an den Ärmelkanten und am Halsausschnitt. In diesem Kleid hatte sie geheiratet. Leise sprach sie ein Gebet für Reinhards Seelenheil. Sie hatte ihn nicht gewollt, ihn nicht geliebt, ihn anfangs sogar für einen Feind gehalten, als sie aus der Not heraus und auf Lukas’ Drängen hin mit ihm vermählt wurde. Aber Reinhard liebte und beschützte sie, und so wurde aus ihrer anfänglichen Verachtung für ihn Zuneigung.
Und Dietrich? Ihre Gefühle für ihn waren ungleich stärker gewesen. Doch seit seiner Heirat mit Jutta war er für sie verloren.
Wie lange wird es wohl dauern, bis ich an ihn denken kann, ohne dass es mir fast das Herz zerbricht?, fragte sie sich, während sie ihren Zopf neu flocht. Dass ihm Jutta nicht mehr so gleichgültig ist wie früher, weiß ich längst.
Aber es ist nur klug und gottgewollt, wenn er sich in sie verliebt, redete sie sich zu. Ich sollte jetzt ganz für meine Kinder leben!
Mit einem Ruck stand sie auf, setzte sich Schleier und Schapel auf und ging wieder nach unten.
Von dort drang ihr vergnügter Lärm entgegen. Boris von Zbor erzählte den Kindern gerade eine Geschichte, und die quietschten vor Vergnügen dabei.
»Dann wackelte das Eichhörnchen keck mit dem buschigen Schwanz, der Igel strich sich die Stacheln glatt, und der Wolf musste hungrig zu Bett gehen«, endete er gerade.
Die Jungen jubelten.
Änne, die ihre Mutter als Erste entdeckt hatte, beklagte sich rasch: »Sie sind außer Rand und Band!« Doch war nicht zu übersehen, dass auch sie eben noch mit Begeisterung herumgealbert hatte.
Lisbeth drückte sich in eine Ecke und wagte es nicht, auch nur einen Schritt auf diesen verrückten slawischen Riesen zuzugehen.
Boris schaute zur Treppe, wo Clara mit ihrem besten Kleid stand, und ihm stockte der Atem.
Normalerweise hätte er sofort ein Kompliment über die Schönheit und Eleganz der Dame des Hauses ausgesprochen. So etwas ging ihm doch sonst so leicht über die Lippen! Warum brachte er jetzt keinen Ton heraus?
Das war ihm noch nie geschehen.
Boshe moi,
das sieht nach etwas Ernsthaftem aus, dachte er bei sich, ein bisschen erschrocken, und dennoch konnte er nicht aufhören zu grinsen.
Ohne ein Auge von Clara zu lassen, wartete er, bis sie sich von ihren Kindern verabschiedet hatte. Dann zwinkerte er den drei Kleinen zu, reichte Clara seinen Arm und half ihr in den Sattel.
»Lukas, ich muss mit Euch reden!«, sagte Boris von Zbor, der die ganze Zeit ungewohnt angespannt auf seinem Platz hin und her gerutscht war, während die anderen feierten, tranken, scherzten und Erinnerungen austauschten.
Lukas hatte seit der Rückkehr des Slawen das unbestimmte Gefühl, dass Ärger im Anmarsch war.
Und gerade eben wurde auch ein ernsthaftes Thema diskutiert. Tammo von Nossen hatte gefragt, ob Lukas es wirklich für angebracht
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