Der Traum der Hebamme / Roman
Auftrag des Bischofs von Merseburg das Kloster berauben konnte. Der Abt und der Bischof lagen im Streit, weil sich das Kloster darauf berief, nur Rom direkt unterstellt zu sein. Damals war zwar kein Blut geflossen, dennoch hatte er sich an einem Geistlichen vergriffen, was als schlimme Sünde galt, die mit ewiger Verdammnis bestraft wurde. Deshalb hoffte er hier im Heiligen Land, Vergebung dafür zu finden.
»Das sind die normannischen Sitten«, warf Markgraf Konrad ein. »Da sind solche barbarischen Strafen üblich. Wie es heißt, hätten die sizilianischen Ratgeber dem Kaiser eindringlich klargemacht, dass bei ihnen andere Regeln gelten als in unseren zivilisierten Gegenden. Milde sei dort keine Tugend, sondern werde als Schwäche ausgelegt. Und das kann sich der Kaiser nicht leisten.«
»Warten wir erst einmal ab, welche Strafen wir hier noch verhängen müssen«, warf Dietrich von Weißenfels ein und berichtete den Neuankömmlingen vom Befehl des Königs und den Zwischenfällen schon am ersten Tag.
»Wir lassen die Männer hart üben, damit sie beschäftigt sind. Aber je mehr neu eintreffen, umso schwieriger wird es, Disziplin zu erzwingen. Waren bei Euch auf dem Schiff nicht auch mehr als genug von der Art, die nichts im Kopf hatten, als Heiden zu erschlagen? Und den Hauptteil des Heeres erwarten wir erst noch! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Lage hier brenzlig wird. Und wenn wir nicht den Frieden mit Saladins Bruder al-Adil gefährden wollen, werden wir jeden hart bestrafen oder ausliefern müssen, der ihn verletzt.«
Hermann von Thüringen zog die Augenbrauen hoch. »Der Marschall von Kalden wird sicher mit Freuden ein weiteres Blutbad anrichten, sollten ihm seine Männer nicht aufs Wort gehorchen. Die Frage ist: Gehorcht er dem König von Jerusalem? Oder nur seinem Kaiser?«
»Ich fürchte, das wird sich erst noch zeigen müssen«, meinte Konrad nachdenklich. »Wieso hat uns der Kaiser hierher geschickt, wenn er doch weiß, dass hier Waffenruhe gilt?«
Thomas war nicht zu dem Festmahl des Landgrafen gebeten worden. Auch wenn er der einzige Ritter in Dietrichs Gefolge war – ein Graf war er nicht, und außerdem konnte er nicht damit rechnen, dass er als Bruder der Frau, die Hermanns Schwiegersohn zwei Bastarde geboren hatte, an dessen Tafel eingeladen wurde.
Aber das kümmerte ihn herzlich wenig. Den Salzaer und seine anderen einstigen Waffengefährten aus Thüringen wie auch Heinrich von Colditz hatte er schon begrüßt und mit ihnen ein paar Neuigkeiten ausgetauscht.
Da die Waffenübungen für diesen Tag beendet waren, verspürte Thomas nicht die geringste Lust, sich die Prahlereien der neu Eingetroffenen anzuhören oder sie daran hindern zu wollen, wenn sie losstürmten, um Ungläubige zu töten. Er allein konnte solch eine Horde selbst in seinem größten Zorn nicht aufhalten. Dafür mussten die Anführer der einzelnen Heereskontingente sorgen, die über genügend Kämpfer verfügten.
Er war das alles gründlich leid: die allabendlichen Raufereien, Trinkgelage und Prahlereien. Die Männer waren gelangweilt und enttäuscht, sie wollten Beute machen und endlich Sarazenen töten, um Ablass für ihre Sünden zu bekommen. Mit jedem Tag, der verging, fragte sich Thomas mehr, wie lange das noch gutgehen konnte. In ein paar Tagen erwarteten sie die Hauptmasse des Heeres. Wenn nicht ein Wunder geschah, dann würde die Lage außer Kontrolle geraten.
Er selbst war womöglich der Einzige im Lager, der – abgesehen von seinem Widerwillen gegen die Übereifrigen unter den Männern – dem Warten etwas Gutes abgewinnen konnte. Sooft es seine Pflichten erlaubten, ritt er in die Stadt und besuchte Notker im deutschen Hospital, um etwas zu lernen. Graf Dietrich und auch Heinrich Walpot, der Vorsteher der Spitalgemeinschaft, duldeten seine zahlreichen Besuche dort nicht nur, sondern bekräftigten ihn darin. Sahen sie in ihm schon einen Ritter des künftigen Deutschen Ordens?
Wenn Thomas ehrlich mit sich zu Gericht ging, besaß der Gedanke für ihn einen großen Reiz, einer verschworenen Gemeinschaft von Männern anzuhören, die für ein Ziel kämpften. Davon hatte er schon zu seiner Knappenzeit geträumt. Darauf hatte er bei Kaiser Friedrichs Kreuzzug gehofft und war bitter enttäuscht worden.
Und er würde nicht nur kämpfen, sondern konnte auch den in der Schlacht Verwundeten helfen!
Zu oft hatte er erleben müssen, wie Gefährten auf dem Schlachtfeld verbluteten, weil niemand zu ihnen kam
Weitere Kostenlose Bücher