Der Traum der Hebamme / Roman
sie verkaufe oder sie ins Hurenhaus schicke oder sie mit jemandem verheirate, der mir passt. Aber auf jeden Fall werde ich mir vorher holen, was mir zusteht: das Haus und alles, was sie zwischen den Beinen hat.«
Eschiva war inzwischen wieder heruntergekommen und hielt ein schmales Bündel umklammert.
»Es ist Godwins Wille, dass dieser Mann mein Vormund wird«, rief sie und zeigte auf Thomas. »Er wird entscheiden, was aus mir und dem Haus wird, falls euer Vater stirbt.«
»Das wollen wir doch erst einmal sehen!«, entgegnete ihr ältester Stiefsohn verächtlich. Er überlegte, ob er dem Fremden vor die Füße speien sollte, unterließ es dann jedoch lieber, nicht nur des Schwertes wegen. Dieser Kerl hatte ja vorher schon mit bloßen Händen seine Brüder zu Boden geschickt.
Thomas gab Eschiva mit den Augen das Zeichen zu gehen, warf noch einmal einen drohenden Blick auf die drei und stapfte hinaus.
In der Gasse vergewisserte er sich, dass niemand sie verfolgte. Das ist ja noch übler, als ich es mir vorgestellt hatte, dachte er. Dorthin kann sie wirklich nicht allein zurück.
»Es tut mir leid, Euch da hineingezogen zu haben«, sagte Eschiva beklommen und leise. Sie hatte die Lider gesenkt und jede Farbe aus dem Gesicht verloren. »Godwin weiß, was er von seinen Stiefsöhnen zu halten hat. Er wird Euch bestimmt als Vormund einsetzen, wenn wir ihm erzählen, was geschehen ist. Dann wagen sie es nicht, zum Richter zu gehen.«
Nach einem Augenblick beschwor sie ihn geradezu verzweifelt: »Ihr müsst mich ja nicht heiraten. Legt nur bei Bruder Notker und Meister Walpot ein gutes Wort für mich ein, damit ich als pflegende Schwester im Hospital bleiben kann. Dann wäre ich gerettet.«
Thomas’ Gedanken kreisten längst darum, wie er wohl Graf Dietrich und auch Heinrich Walpot erklären wollte, in welchen Schlamassel er da geraten war.
Doch er bereute nichts. Denn noch intensiver kreisten seine Gedanken um diesen ersten, scheuen und dann innig gewordenen Kuss. Nichts würde er lieber tun, als Eschiva auf der Stelle zu heiraten.
Da er aber Wallfahrer war und vermutlich spätestens nächsten Monat, wenn das Hauptheer eintraf, in die Schlacht ziehen musste, bestand nicht die geringste Aussicht, dass er dazu die Erlaubnis bekam.
Hochzeitsgäste
D ie ganze Stadt war sprachlos vor Staunen, dass Clara plötzlich als Braut inmitten einer fröhlichen Hochzeitsgesellschaft saß, am meisten aber Clara selbst.
Das Gehöft um Reinhards Haus war mit Tischen und Bänken vollgestellt, an denen die Gäste ausgelassen feierten. Sogar Raimund und Elisabeth waren aus Weißenfels gekommen, um dem Brautpaar Glück zu wünschen, die Nossener Brüder und alle anderen Überlebenden, die sich damals mit Lukas nach Freiberg gewagt hatte, um Albrecht zu töten. Natürlich waren auch ihre Freiberger Freunde eingeladen: die Ritter, mit denen Lukas auf gutem Fuß stand, Jonas, Guntram, der inzwischen die Schmiede auf dem Burghof betrieb, Karl und der alte Friedrich, der abgemagert wirkte, seit sein Bruder an einem Fieber gestorben war. Sie saßen an einem Ehrenplatz neben dem Bergmeister und dem Münzmeister Wibald. Und gemeinsam mit Marthe hatte Clara darauf bestanden, auch diejenigen Freunde einzuladen, die nicht dem Ritterstand oder dem Rat angehörten: Christian mit seiner Frau Anna, Kuno und Bertram, die Gürtlerfamilie aus Marthes Nachbarschaft. Auch Peter, Elfrieda und Lisbeth durften heute mitfeiern.
Boris von Zbor, der schon zwei Tage vor der Hochzeit in Freiberg eingetroffen war und in Lukas’ Haus nächtigte, hatte sechs seiner Bediensteten mitgebracht, die sich hier von nun an um seinen und Claras Haushalt kümmern sollten: Petka, Pawel und Andrej; Marja Antonowna, Marja Andrejewna und Marja Denisowa – so hatte er sie Clara vorgestellt.
Schon den ganzen vorangegangenen Tag hatten sie zusammen mit Elfrieda und anderen Helfern gebacken, gebraten, Tische und Bänke aufgestellt und das Haus der Brautleute mit Birkenreisern geschmückt.
Clara war sich stets bewusst gewesen, dass Lukas sich mit allen Kräften mühte, sie wieder zu vermählen, auch wenn er sie deshalb nicht mehr offen bedrängte. Aber dass es so schnell passieren würde und sie vor allem den Tag selbst kaum erwarten konnte, hätte sie sich vorher nie träumen lassen.
Boris von Zbor hatte sie regelrecht überrollt und im Sturm erobert mit seiner unbekümmerten Art. Er war so anders als die Männer, denen sie bisher ihr Herz geschenkt hatte. Einmal zu
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