Der Traum der Hebamme / Roman
Bertram kam wegen der alten Verletzung nicht so schnell hinterher, auch wenn er sich nach Kräften mühte, sich von dem Humpeln so wenig wie möglich anmerken zu lassen.
Sein Gefährte warf nur einen Blick nach vorn, schnappte nach Luft und sagte zu Conrad: »Ruft Thomas von Christiansdorf. Ich verwette mein linkes Ohr, dass dies hier eine persönliche Botschaft an ihn ist. Und bittet am besten gleich seine Mutter dazu, damit er sich nicht zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen lässt.«
»Willst du mir das vielleicht etwas genauer begründen?«, forderte Norbert streng, der bei dieser Nachricht ebenfalls zum Torhaus gelaufen war und die letzten Sätze gehört hatte.
»Christian von Christiansdorf tötete den Vater von dem da bei einem Gottesurteil«, erklärte Kuno und wies auf Rutger, der nun schon auf halbe Pfeilschussweite heran war. »Sein Vater, Randolf, hatte unser Dorf mehrfach übel heimgesucht und jedes Mal ein paar Leichen hinterlassen. Unschuldig Ermordete, auch meine Mutter. Und dieser Randolf verleumdete Christian und folterte ihn in seinem Kerker fast zu Tode. Es dauerte Jahre, bis Christian endlich Rache üben durfte. Zwischen den Söhnen besteht ebenfalls eine Feindschaft auf Leben und Tod. Und das solltet Ihr noch wissen: Der Kerl da, der mit so dreister Miene auf uns zureitet, ist nicht nur der Ziehsohn von Albrechts Truchsess. Er verriet Claras Mann, den Albrecht daraufhin köpfte. Anschließend hat er vor versammeltem Hofstaat die Herrin Marthe zu Boden geworfen und ins Verlies gestoßen.«
Norbert versuchte, angesichts dieser Neuigkeiten jede Regung aus seinen Zügen zu verbannen. Er schaute sich kurz um und sah Marthe herbeieilen. Sie warf nur einen Blick auf den Reiter, der sich dem Tor näherte, und allein aufgrund dessen, was Norbert für einen flüchtigen Moment in ihrem Gesicht lesen konnte, wäre er sofort bereit, diesen Kerl zu töten – ob er nun als Bote kam oder nicht.
»Lehnt Euch an die Wand«, sagte er leise, als er sie wanken sah, stützte ihren Arm und befahl einem der Knechte, einen Schluck Wasser oder Bier für die Herrin zu bringen. »Bleibt hinter den Zinnen, er darf Euch nicht sehen!«, mahnte er.
Marthe nickte.
»Ich hoffe, Ihr seid in der Lage, Euern Sohn davon abzuhalten, jetzt irgendetwas sehr Törichtes zu tun.«
»Das hoffe ich auch«, sagte Marthe, aber es klang nicht besonders überzeugend.
»Ich suche hier einen flüchtigen Pferdedieb namens Thomas von Christiansdorf«, rief Rutger hinauf, als er an der Kluft vor der Zugbrücke stand. »Stimmt das Gerücht, dass er sich bei euch verkrochen hat?«
»Ich
sehe
hier einen feigen Verleumder, der seinen Dienstherrn Markgraf Otto verriet und sich damit die Schwertleite erschlich«, rief Thomas im gleichen Tonfall hinab. Nun triefte seine Stimme vor Spott. »Sag, Rutger, darfst du eigentlich trotzdem mit den Rittern an einem Tisch sitzen? Und wem hast du dieses Pferd gestohlen? Solltest du nicht lieber einen braven Zelter reiten? Oder ein Maultier?«
Das mit dem Pferd war keineswegs geraten; es stammte unverkennbar aus Raimunds Zucht, und Rutger hatte ganz sicher nicht dafür bezahlt.
»Ich wollte mich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass du nicht in Outremer verreckt bist wie all die anderen. Das ist zwar verwunderlich, aber es hat den Vorteil, dass ich dich höchstpersönlich erschlagen kann«, prahlte Rutger.
Thomas lachte laut auf. »Hast du dafür auch genügend von deinen großen, starken Freunden zur Unterstützung mitgebracht? Du solltest noch aus unserer Knappenzeit wissen, dass du mich nicht besiegen kannst.«
Das stimmte nicht ganz: Rutger war ein herausragender Kämpfer; in ihrer Knappenzeit galten sie als einander ebenbürtig. Doch seine Schwachpunkte waren Selbstüberschätzung und Rachgier.
»Feigling! Komm heraus zum ehrlichen Zweikampf!«, schrie Rutger. »Keinen Tag länger will ich warten, um meinen Vater zu rächen!«
»Seit wann kämpfst
du
ehrlich? Und woher nimmst du neuerdings so viel Mut? Na ja, mit dem Maul warst du ja immer schon ein Held …«
Das Wortduell schien die Weißenfelser, die es mitverfolgten, zunehmend zu belustigen. Das entging Rutger nicht, und es machte ihn fuchsteufelswild.
In seinen rachsüchtigen Tagträumen den ganzen Weg hierher war dieses Gespräch sehr anders verlaufen.
»Wenn du dich nicht traust herauszukommen, dann bleib doch da oben hocken und warte, bis wir euch alle erledigen. Ich weiß, dass ihr euch vor Angst bepisst«, brüllte er.
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