Der Traum der Hebamme / Roman
Freiberg waren für sie beide unerreichbar, denn in der Mark Meißen durften sie sich nicht blicken lassen. Und morgen stand ihnen eine Schlacht bevor, die wer weiß wie viele Tote kosten konnte.
Thomas griff nach Untergewand und Bliaut, zog sich beides über den Kopf und umarmte seine Mutter erneut.
»Mach dir keine Sorgen, ja?«, bat er. »Wir haben beide bis heute überlebt. Da wird Gott Seine schützende Hand auch morgen über uns halten.«
»Ja«, sagte sie leise. »Nun geh und versuch, ein bisschen zu schlafen!«
In der Nacht vor der Schlacht bemühte sich jeder von denen, die wussten, dass sie bevorstand, seinen Frieden mit Gott zu machen und die Dinge zu regeln, die ihm am Herzen lagen.
Norbert suchte Clara bei den Verletzten auf, nahm sie beiseite und informierte sie, dass dieser Rutger nach ihr suche und er und seine Söhne sich um ihren besonderen Schutz kümmern würden, falls die Burg gestürmt wurde.
Clara dankte ihm für diese Umsicht.
Verwirrt über seine eigenen Gefühle, dachte Norbert von neuem darüber nach, wer wohl besser als Gemahlin für ihn geeignet sei: diese junge Frau oder ihre faszinierende, alterslose Mutter.
Wenig später kam Conrad, wiederholte die Nachricht und das Schutzangebot. Er redete ein bisschen um den heißen Brei, schließlich fasste er sich ein Herz und fragte, ob er nicht vielleicht doch hoffen könne, Clara eines Tages zur Ehefrau nehmen zu dürfen. Mit höflichen Worten erklärte sie, dass sie noch zu sehr um ihren toten Gemahl trauere, um jetzt wieder zu heiraten, und machte ihn darauf aufmerksam, dass die hübsche Jungfrau Sieglind bis über beide Ohren in ihn verliebt sei und bestimmt eine gute Mutter für seine künftigen Kinder sein würde.
Der junge Schmied Guntram dachte an seine Mutter und daran, wie sein Vater wohl allein zurechtkäme. Dann legte er sich mit dem Gedanken zur Ruhe, wie die von ihm gefertigten Brandpfeile morgen Albrechts Palisaden in Flammen aufgehen lassen würden.
Kuno betete dafür, dass es Johanna und ihren Kindern gutging.
Bertram sprach ein Gebet für das Seelenheil seiner verstorbenen Frau Marie.
Marthe sortierte ihre Arzneien und rollte Leinenstreifen zusammen. Nach einem Gebet fürs Christians Seelenheil richtete sie alle ihre Gedanken auf Lukas, der irgendwo auf dem Weg hierher steckte, vielleicht nur noch ein paar Meilen von ihr entfernt.
Clara überlegte, ob Dietrich nun wohl mit Jutta von Thüringen verlobt war, während sie einem verletzten Bogenschützen den Verband wechselte.
Dann kam Thomas und erklärte kategorisch, dass seine Schwester ruhen müsse und außerdem ihre kleine Tochter weinend nach der Mutter rufe. Das hatte er gesehen, als er zuerst in der Kammer nach Clara gesucht und dort nur die junge Magd angetroffen hatte, die Änne behütete, während ihre Mutter im Krankenlager arbeitete.
Clara verknotete die Enden des Leinenverbandes über der Wunde, dann folgte sie widerspruchslos ihrem Bruder in ihre Kammer.
Änne war aus irgendeinem Grund aufgewacht und ließ sich nicht beruhigen. Clara nahm sie auf den Arm, küsste und wiegte sie und schickte die Kinderfrau schlafen.
Der vertraute, weiche Körper ihrer Mutter, die leise Stimme, mit der Clara ein Schlaflied sang, ließen die Kleine rasch verstummen. Schon fielen ihr wieder die Lider zu.
Thomas sog den Anblick in sich auf, wie seine Schwester ihr Kind herzte und liebkoste.
Es sind die Mütter, dachte er zusammenhangslos. Die Mütter, die uns Frieden bringen, Kraft spenden und Seelenfrieden. Niemand sonst kann das.
Kein Schwert. Kein Silber. Kein Befehl.
Nur ihre bedingungslose, grenzenlose Liebe, ihre Güte und die Weisheit, die aus dem Herzen kommen.
Seine Mutter hatte ihm vorhin eine unsichtbare Last von den Schultern genommen, unter der er fast zerbrochen wäre. Und der Anblick seiner Schwester mit ihrem schlafenden Kind im Arm öffnete sein Herz, das er doch mit Eisen hatte panzern wollen.
Nur für einen Augenblick. Nur für diese Nacht.
Bis er morgen wieder in die Schlacht ziehen und töten musste. Damit die Mütter und die Kinder überlebten.
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Zweiter Teil
BRUDERKRIEG
Leuchtfeuer
D ietrich und Lukas führten die thüringische Streitmacht mit Marschall Heinrich von Eckartsberga an der Spitze in einem dreitägigen Gewaltritt zu einem Stück Land einige Meilen südlich von Weißenfels, das von Albrechts Gegenburg aus nicht zu sehen war.
Am verabredeten Ort erwartete sie bereits Norberts Sohn Conrad und berichtete, was seit ihrem
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