Der Tristan-Betrug
»Gebäude« war nur ein großer Kasten aus Balken, Kanthölzern und einem Zwischenboden: ein Gerüst, dessen Segeltuchbespannung außen so bemalt war, dass es genau wie Ziegelmauerwerk aussah. Als er das Gebäudeinnere absuchte, erschrak er, als er an einem der Fenster im Erdgeschoss mehrere Männer stehen sah. Dann wurde ihm klar, dass das Attrappen waren: Holzpuppen in Lebensgröße, die in Männerkleidung an einem der ausgeschnittenen Fenster standen, um Fabrikarbeiter zu simulieren. Auf der Grundfläche des Gebäudes verteilt standen vier rechteckige Metallkästen, von denen jeder durch ein kurzes Rohr mit einem Zweihundertliterfass verbunden war. Aus jedem dieser Geräte führte ein langer, dicker Schlauch zu einem der vier angeblichen Schornsteine hinauf.
Metcalfe wusste sofort, was er vor sich hatte. Dies waren die mechanischen Rauchgeneratoren, die den Rauch erzeugten, der aus den Schornsteinen quoll.
Auf dem Gefechtsfeld dienten sie dazu - meist auf Panzern montiert -, größere Gebiete durch künstlichen Nebel zu tarnen, um den Feind zu täuschen und Aufklärung und Überwachung zu erschweren. Die Engländer benützten eine primitive Version dieser Geräte, die sie »Rauchtöpfe« nannten, um das Werk von Vauxhall Motors in Luton vor tagsüber angreifenden deutschen Bombern zu schützen. Und die Deutschen setzten Tausende solcher raffinierten Rauchgeneratoren ein, um die von ihnen besetzten rumänischen Ölraffinerien in Ploiesti unsichtbar zu machen.
Die Maschinen arbeiteten mit Dieselöl, das aus den Zweihundertliterfässern zufloss. Hier bewirkten sie eine andere Art von Täuschung: Sie erzeugten die Illusion einer Tag und Nacht arbeitenden Fabrik.
Metcalfe hörte Schritte, Schritte von zwei Männern! Nolans deutscher Partner, der SD-Killer, hatte offenbar die Schüsse gehört und war schleunigst herübergekommen.
Ein Blick in die Runde zeigte Metcalfe, dass es hier nur einen Ausgang gab, den er jedoch nicht benützen konnte, weil die Verfolger bestimmt dort hereinkommen würden. Als er hinter einem Werkzeugschrank verschwand, der etwas Deckung bot, hallte Chips Stimme durchs Gebäude: »Sie sitzen in der Falle wie eine Ratte, Metcalfe! Hier kommen Sie nicht mehr raus. Weg mit der Waffe und Hände hoch, dann können wir miteinander reden!«
Vielleicht über meine Beerdigung, dachte Metcalfe. Einen der Rauchgeneratoren, der durch eine Leitung mit seinem Ölfass und durch einen Schlauch mit einem der Kamine verbunden war, konnte er von seinem Versteck aus erreichen.
Metcalfes Hand schoss nach vorn und riss den Schlauch ab, der den Rauch nach oben leitete. Sofort quollen dichte weiße Rauchschwaden aus dem Gerät und bildeten in Bodennähe eine weiße Wolke.
Aber Chip war bereits auf der anderen Seite des Werkzeugschranks angelangt. Metcalfe konnte ihn durch einen Spalt in der Schrankrückwand beobachten und sah, dass der FBI-Mann hinkte. Er war offensichtlich am linken Oberschenkel getroffen. Aber seine Konzentration hatte darunter nicht gelitten. Er sah von einer Seite zur anderen, während er überlegte, wohin er sich wenden sollte.
Metcalfe dachte nicht daran, ihm die Initiative zu überlassen.
Er zog die ungeladene Walther, sprang mit einem Satz hinter dem Schrank hervor und zielte mit der Waffe auf Nolans Gesicht. Chip fuhr zusammen und riss seine Pistole ebenfalls hoch.
Der künstliche Nebel, der das Gebäude zu füllen begann, reichte den Männern bereits bis zu den Knien.
»Ich hab Ihnen gesagt, Stephen, dass Sie heute sterben«, sagte Chip.
»Nach Ihnen, Arschloch«, antwortete Metcalfe. »Die Sache sieht nach einem Patt aus, finde ich.«
Nolans Blick blieb auf Metcalfe gerichtet, aber über sein Gesicht zog Unsicherheit wie ein Schatten. Die Pistole hatte gewirkt. Sie verfehlte auch ungeladen ihre Wirkung nicht.
Metcalfe sprach nonchalant weiter, als sei die Walther mit 9-mm-Patronen geladen. »Was wollen Sie jetzt machen, Chip? Wer von uns beiden bleibt Sieger?«
»Kommt darauf an, wer mehr Mumm hat«, knurrte Nolan. Er versuchte zu grinsen.
Am Rand seines Gesichtsfelds sah Metcalfe, dass der deutsche Killer von draußen ins Gebäude kam. »Oder wer weniger Angst vor dem Tod hat«, sagte er. »Ich bin nur ein kleiner Fisch, stimmt's? Einer der vielen Agenten, die täglich Kärrnerarbeit leisten. Während Sie ein wichtiges Zahnrad der Maschinerie sind. Einer der wertvollsten Agenten der Nazis. Würden Sie erschossen, wäre das ein großer Verlust für die faschistische Sache -
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