Der Trotzkopf
du glaubst nicht, wie unschön das aussieht. Achte auf deine Mitschülerinnen, du wirst sehen, daß keine einzige es wie du macht. Und dann, weißt du, stecke nicht wieder so große Bissen in den Mund. Die kleinen Kinder machen es zuweilen so, aber dann nennt die Mama sie: Nimmersatt!«
Ilse war dunkelrot geworden vor Aerger über die erhaltene Ermahnung. Trotzig biß sie die Lippen aufeinander und unterdrückte eine ungezogene Antwort.
»Geh nun zu Bett, mein Kind, und schlafe gut.«
Sie war im Begriffe, Ilse einen Kuß auf die Stirn zu reichen, als diese mit einer heftigen Bewegung den Kopf zurückbog. Es war ihr unmöglich, sich von der Vorsteherin küssen zu lassen, die sie in diesem Augenblicke geradezu haßte.
Fräulein Raimar wandte sich unwillig von dem Trotzkopfe ab, ohne noch etwas zu sagen, und Ilse verließ das Zimmer.
Sie lief die Treppe hinauf und trat atemlos zu Nellie in das Zimmer. Die Thüre warf sie heftig in das Schloß und schob auch noch den Riegel vor, was in der Pension streng untersagt war.
»Mach nicht der Riegel zu,« sagte Nellie, »wir dürfen das nicht thun. Wenn wir in die Bett liegen, kommt Fräulein Güssow bei uns nachsehen.«
Ilse rührte sich natürlich nicht, und Nellie mußte das selbst besorgen. Ungestüm warf sie sich auf ihr Bett und brach in Thränen aus.
»O, was ist dich?« fragte Nellie erschrocken.
»Hier bleibe ich nicht! – Ich reise morgen fort! Wenn das mein Papa wüßte, wie sie mich behandelt hat!« rief Ilse aufgeregt.
Durch viele Fragen bekam Nellie in einzelnen abgerissenen Sätzen von Ilse heraus, was Fräulein Raimar gesagt hatte.
»Ich esse ungeschickt, – ich nehme zu große Bissen – und ich bin ein Nimmersatt! Zu Hause darf ich essen, wie und was ich will! – Ich will wieder fort! Morgen reise ich! –«
»Du mußt dir nicht so viel grämen um so kleine Sach’,« sagte Nellie sanft und strich liebkosend Ilses lockiges Haar. »Fräulein Raimar ist sehr gerecht, sie meint es gut und will dir nicht beleidigen. Mit uns alle macht sie es so. Wir sind doch jung und dumm und müssen noch lernen. – Nun komm, wir legen uns jetzt in die Bett und später, wenn Fräulein Güssow bei uns eingesehen hat, stehen wir ganz leise wie die Mäuschen wieder auf und packen deiner kleine Koffer leer.«
Aber so leicht war Ilse nicht zu beruhigen. »Nein!« rief sie und sprang auf, »der kleine Koffer bleibt verschlossen! Ich reise wieder fort!«
Hastig zog sie sich aus, warf ihre Kleidungsstücke drunter und drüber und legte sich schluchzend in ihr Bett. Schweigend ordnete Nellie die zerstreuten Sachen, sie hing das schöne Kleid an einen Nagel, Ilse hatte dasselbe auf einen Stuhl geworfen, und legte alles übrige glatt und ordentlich zusammen. Dann ging auch sie zur Ruhe.
Bevor sie indes ihr Lager bestieg, kniete sie vor demselben nieder, faltete die Hände und betete leise ein kurzes Gebet.
»Gut’ Nacht, Ilse,« sagte sie dann und gab ihr einen Kuß. »Du mußt nun nicht mehr weinen, – alle Anfang ist schwer.«
Aber Ilse weinte noch lange. Ihre Gedanken kehrten zum Vater zurück und begleiteten ihn auf seiner Rückreise. In wenigen Stunden mußte er die Heimat erreicht haben. Ach, wenn er wüßte, wie sein einziges Kind behandelt wurde! Sie fühlte sich zu unglücklich in der Gefangenschaft! – Wie ein Kind weinte sie sich in den Schlaf, aber böse Träume schreckten sie mehrmals auf. Bald hielt sie eine mächtige Theetasse in der Hand und ließ sie zur Erde fallen, bald hielt ihr die Vorsteherin im grauen Kleide ein heimatliches Butterbrot dicht vor den Mund, wollte sie aber zubeißen, war es verschwunden.
* * *
Um sechs Uhr am andern Morgen hieß es: Aufgestanden!
Da galt kein langes Besinnen, und wenn die jungen Glieder noch so sehr vom Schlafe befangen waren, es wurde keine Gnade geübt. Ilse pflegte daheim bald früh, bald spät aufzustehen, wie sie gerade Lust hatte. Einer bestimmten Ordnung, wie sie die Mama so sehr gewünscht, hatte sie sich nicht fügen wollen. Es wurde ihr denn auch nicht wenig schwer, so auf Kommandowort sich erheben zu müssen, gerade heute hatte sie den Wunsch, noch einigemal sich im Bette herumzudrehen, sie war so spät erst eingeschlafen. Aber daran war nicht zu denken, Nellie stand schon da und wusch sich. Mit einem Sprunge war sie Schlag sechs Uhr aus dem Bette gewesen.
»Wach auf, Ilse,« sagte sie, »um halb sieben trinken wir Kaffee.«
»Schon aufstehen,«
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