Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy von Rhoden
Vom Netzwerk:
hatte Ilse niemals hören wollen, daß sie eine junge Dame sei, und jetzt berührte es sie gar nicht angenehm, daß man sie gewissermaßen noch zu den Kindern rechnete. 
    »Nun siehst du das ein, Ilse?« fragte die Lehrerin. 
    Vielleicht that sie es, aber sie würde ein Ja nicht über die Lippen gebracht haben. Fräulein Güssow begnügte sich mit ihrem Stillschweigen und nahm dasselbe für eine Zustimmung. Sie meinte, daß eine Natur wie Ilses nicht mit Gewalt zum Nachgeben gezwungen werden dürfe. 
    »Nun wollen wir zurück in den Speisesaal gehen,« sagte sie, und Ilse wagte keine Widerrede. Sie folgte dem Fräulein mit niedergeschlagenen Augen, sie hatte Furcht vor den vielen peinlichen Blicken, die sich alle auf sie richten würden. 
    Als sie eintraten, war das Zimmer leer und die Frühstückszeit vorüber. Niemand war froher als Ilse, die sich wie erlöst vorkam. 
    »Ich habe noch einen Auftrag für dich, Ilse,« sagte die Lehrerin. »Fräulein Raimar wünscht deine Arbeitshefte zu sehen, auch sollst du zugleich mündlich geprüft werden. In einer Stunde finde dich in dem Konferenzzimmer ein, du wirst dort zugleich deine zukünftigen Lehrer und Lehrerinnen zum Teil kennen lernen.« 
    »Wollen sie mich alle prüfen?« fragte Ilse etwas besorgt. 
    »Nein,« entgegnete das Fräulein, »aber sie werden zuhören, wenn Fräulein Raimar dich examiniert. Später wirst du dann erfahren, in welche Klasse du gesetzt bist, und morgen nimmst du zum erstenmal an dem Unterricht teil.« 
    Ilse ging in ihr Zimmer und suchte ihre Hefte zusammen. Sie waren nicht in der besten Verfassung. Das deutsche Aufsatzheft machte besonders keinen Staat. Verschiedene Tintenflecke zierten es, und sogar einige naseweise Fettflecke machten sich darauf breit. Das französische Heft wurde ganz beiseite gelegt. Sie hatte versucht, einige Seiten, die gar zu verschmiert aussahen, herauszureißen und durch diesen Gewaltstreich waren alle andern Blätter gelockert – unmöglich konnte sie das Buch in dieser Verfassung vorzeigen. 
    Nellie, die gerade eine freie Stunde hatte, sah erstaunt Ilses Treiben zu. »Was thust du?« fragte sie. »Willst du dein Bücher so an Fräulein Raimar vorzeigen? das darfst du nicht. Hat deiner Herr Pastor dir dies erlaubt? Gieb schnell, ich will dich blaues Umschläge drum wickeln, das ist nett und man sieht die alte Flecken nicht.« 
    »Gieb her!« rief Ilse gereizt. »Sie sind gut so! Es ist mir ganz egal, ob Fräulein Raimar die Flecken sieht oder nicht!« 
    »Nicht so zornig, Fräulein Ilse! Sie sind eine kleine, unordentliche junge Dame! Würde es dir vielleicht spaßig sein, wenn Fräulein Raimar deine Buch mit spitze Finger hoch hielt und sie alle Lehrer zeigte? O nein, das wär dich nicht egal und nicht spaßig. Besonders wenn Herr Doktor Althoff, unser deutscher Lehrer, mit seine bekannte, höhnische Lachen dir so von die Seiten ansieht und fragt: Wie alt sind Sie, mein Fräulein?« 
    Trotzdem Ilse ungeduldig wurde, trotzdem sie entschieden erklärte, es wäre höchst unnütz, daß so viele Umstände wegen der dummen Bücher gemacht würden, setzte Nellie ihren Willen durch. 
    »So, nun kannst du gehen,« sagte sie, als sie auch dem letzten Hefte ein blaues Kleid gegeben hatte, »nun bedanke dir für mein Mühe.« 
    »Du bist doch sehr gut, Nellie,« meinte Ilse. »Wie ist es dir nur möglich, stets so sanft und geduldig zu sein? Ich kann das nicht!« 
    »O, du lernst schon, Kind. Wirst noch eine ganz zahme, kleine Vogel sein!« entgegnete Nellie. 
    Um elf Uhr ging Ilse hinunter in das Konferenzzimmer. Als sie eintrat, fand sie mehrere Lehrer und einige Lehrerinnen anwesend. Sie saßen um einen Tisch, Fräulein Raimar nahm den Platz obenan ein. 
    »Tritt näher, Ilse,« sagte sie und machte mit einigen freundlichen Worten die neue Schülerin mit ihren zukünftigen Lehrern bekannt. Darauf ließ sie sich die Schreibhefte reichen. Das Aufsatzbuch fiel ihr zuerst in die Hand. Sie blätterte und las darin, und einigemal schüttelte sie den Kopf. 
    »Oft recht gute und klare Gedanken,« bemerkte sie zu dem neben ihr sitzenden Lehrer der deutschen Sprache, Doktor Althoff, »und dabei diese oberflächliche, flüchtige Schrift. Sehen Sie einmal, ›uns‹ mit einem ›z‹ geschrieben – ›Land‹ mit einem ›t‹. Da werden wir viel Versäumtes nachzuholen haben. Wie schreibst du ›Land‹, Ilse, buchstabiere einmal.« 
    Ilse konnte unmöglich diese Frage für ernst halten. War sie denn ein

Weitere Kostenlose Bücher