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Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy von Rhoden
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die Halskrause saß schief und an dem halbhohen Lackschuh fehlte ein Knöpfchen. 
    »Du bist aber ein sehr unordentlich’ Mädchen, liebes Lachtaube,« schalt Nellie, »aber ich kann dich nicht helfen, du mußt mit deiner abgerissener Knopf gehen. Es schlägt sechs, wir müssen pünktlich erscheinen.« 
    Die übrigen Mädchen hatten an der Treppe gewartet, jetzt gingen alle zusammen hinunter und an der Thür des Saales blieben sie stehen, sie hatten mit einem Male keinen Mut, hineinzugehen. 
    »Ich höre sprechen,« sagte Orla gedämpft, »ich glaube, die Herren sind schon da.« 
    Sie legte das Ohr an die Thür und horchte. 
    »Wirklich, sie sind da!« bestätigte sie. 
    »Lass’ mich durchs Schlüsselloch sehen, Orla,« bat die neugierige Flora und schob die erstere leicht beiseite. 
    Sie beugte den Kopf, als sie das Auge an die Thür legen wollte, packte Grete der Uebermut, so daß sie Flora einen Stoß gab und diese mit dem Haupte gegen die Thür flog. Das war ein Schreck! Wie der Wind flogen alle bis an das andre Ende des Vorsaals, – wenn Fräulein Raimar das Geräusch gehört hätte! »Dann sind wir einfach furchtbar blamiert,« erklärte Melanie und schalt Grete albern und ungezogen. 
    »Du bist ein Tollpatsch, Grete, im höchsten Grade ungebildet!« sagte Flora entrüstet, und Annemie lachte, daß ihr die hellen Thränen über die Wangen liefen. 
    »Sei mir nicht böse, daß ich dich auslache, Flora,« sagte diese, »aber ich kann nicht anders. Du sahest zu komisch aus und machtest ein so entsetztes Gesicht, als du mit deinem griechisch frisierten Kopf gegen die Thür flogst.« 
    Fräulein Raimar hatte wirklich ein Klopfen an der Thür vernommen, sie öffnete dieselbe, und als sie die Mädchen stehen sah, rief sie ihnen zu, sich zu beeilen. 
    Das war ein kritischer Moment. Unbemerkt stießen sie sich untereinander an und stritten sich leise, wer die erste sein solle. 
    »Du mußt vorangehen, Orla, du bist die älteste,« flüsterte Ilse. 
    »Ich bin die jüngste, ich komme zuletzt!« rief Grete, die sonst immer mit ihrem Munde die erste war. 
    »Laß mich die letzte sein, Grete,« bat Annemie, »ich habe mich noch nicht ausgelacht.« 
    Rosi war die verständige, wie immer. »Komm, Orla,« sagte sie, »wir dürfen Fräulein Raimar nicht warten lassen. Wir benehmen uns überhaupt höchst kindisch, finde ich. An allem ist Gretes Albernheit schuld.« 
    Das gute Beispiel der beiden Aeltesten wirkte wohlthuend auf die übrigen. Sie nahmen sich zusammen und gingen ruhig und ernst in den Saal. 
    »Meine Damen, erlauben Sie, daß ich Ihnen die Herren vorstelle,« mit diesen Worten empfing sie der Tanzlehrer. Es folgten Verbeugungen von beiden Seiten. 
    Flora schwamm in Seligkeit, sie hatte unter den Herren einen Primaner erkannt, für den sie bereits längst im Geheimen schwärmte. Erst kürzlich hatte sie ihn als Apoll in Jamben besungen. 
    Fräulein Güssow stand neben der Vorsteherin und hatte ihre Freude an den jungen Mädchenblüten. An Ilse hing ihr Auge am zärtlichsten. Wie reizend hatte sich ihr Liebling entfaltet! Körperlich und seelisch. Wie viel gleichmäßiger war das stürmische Kind geworden. Wo war der böse Trotz geblieben? 
    Sie verglich Ilse mit den übrigen und fand, daß sie nicht allein die hübscheste, sondern auch weit natürlicher und unbefangener war, als die meisten andern. Keine Spur von Koketterie äußerte sich in ihrem Wesen, frei und fröhlich blickte sie mit den großen Kinderaugen in die Welt und schien die glückliche Frage auszusprechen: »Liebe Welt, bist du immer so schön?« 
    Melanies Züge waren regelmäßiger, aber längst nicht so unbewußt lieblich, man merkte dem hübschen Mädchen an, daß sie schon gar zu oft den Spiegel um seine Meinung befragte. 
    Flora und Melanie standen beisammen und machten ihre Bemerkungen über die Herren, zu denen sie verstohlen hinüber schielten. Natürlich gaben sie sich den Schein, als ob sie sich gar nicht um dieselben kümmerten. 
    Orla war aufrichtiger. Sie hatte den Klemmer auf die Nase gesetzt und betrachtete die Jünglinge ganz ungeniert. Später erhielt sie einen Tadel deswegen von der Vorsteherin. 
    Grete und Annemie hatten sich in eine Fensternische gesetzt und kicherten und schwatzten das dummste Zeug. Sogar Nellie war nicht ganz frei von einer harmlosen Gefallsucht. Sie hatte sich so zu setzen gewußt, daß ihr 
    kleiner, schmaler Fuß im Goldkäferstiefel wie absichtslos unter ihrem Kleide hervorsah.

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