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Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy von Rhoden
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mit den holden Frühlingskindern über und über bedeckt gewesen. Tief betrauert wurde das kleine Wesen von allen, die mit ihm in nähere Berührung gekommen, und es hatte allgemein schmerzliche Verwunderung erregt, daß die Mutter fern geblieben war. 
    Am Todestage Lillis war ein Telegramm angekommen, worin sie meldete, daß sie erst am Dienstag abend eintreffen könne. Es sei ihr unmöglich, früher zu kommen, da sie am Montag in einem neuen Stücke die Hauptrolle zu spielen habe. Als ihr an diesem Tage der Tod ihres Kindes gemeldet wurde, kam umgehend ein Brief voll überschwenglicher Klagen, aber sie blieb fern. Kostbare Blumen hatte sie gesandt, auch der Vorsteherin den Auftrag gegeben, ein Marmormonument, einen knieenden Engel darstellend, für des Kindes Grab anfertigen zu lassen, mit goldenen Buchstaben solle auf dem Sockel eingegraben werden: ›Teures Kind, bete für mich.‹ 
    Aeußerlich war somit alles geschehen, aber das Herz blieb kalt bei diesen pomphaften Kundgebungen. 
    »Meine Mama wäre gekommen, wenn sie mich sterbenskrank gewußt hätte,« bemerkte Ilse, als sie Nellie den Brief vorlas, den ihr die Mutter so herzlich und tröstend geschrieben hatte. 
    »O sicher, sie wär von der Welten Ende zu dich gereist,« beteuerte Nellie lebhaft. 
    »Und sie ist nicht einmal meine rechte Mutter,« fuhr Ilse nachdenklich fort. »Ach Nellie, ich habe sie oft recht sehr gekränkt! Glaubst du wohl, daß sie mir vergeben wird?« 
    Ilses Herz war so weich und empfänglich durch den Schmerz geworden und eine ernste, weihevolle Stimmung durchdrang ihr ganzes Wesen. Nie waren ihr bis dahin ähnliche Gedanken gekommen, und wäre es der Fall gewesen, hätten sie früher einmal bei ihr angeklopft, sie würden keinen Einlaß gefunden haben. Heute war es anders, sie hatte das Bedürfnis, sich gegen ihre Herzensfreundin auszusprechen und sich anzuklagen. 
    »O mach dich kein Kummer darum, Kind. Deine Mutter hat ein so liebesreiche Herz, kein Titelchen Bosheit für dir ist darin. Sie vergebt dir alles. Du warst ja auch noch ein ungezogen, dumm’ Baby, als du bei sie warst, jetzt aber bist du eine sehr anständige (sie meinte verständige) junge Dame.« 
    »Ist das dein Ernst, Nellie?« fragte Ilse und sah mit ihren Kinderaugen Nellie zweifelnd an. 
    »Es ist mein Ernst, und ich gebe dir den guter Rat, schreibe an deiner Mutter ein lang’ Brief und bitte ihr um Verzeihung.« 
    Ilse überlegte einen Augenblick. »Du hast recht, Nellie,« sagte sie dann entschlossen, »ich werde ihr schreiben, ich bin es ihr schuldig. Heute noch will ich es thun! Wenn sie mir nur bald darauf antwortet, ich werde nicht eher ruhig sein!« 
    Als sie sich eben niedergesetzt hatte, ihr Vorhaben auszuführen, trat Flora mit strahlenden Augen ein. 
    »Ich muß euch meine neuesten Gedichte vorlesen,« sagte sie erregt, »sie sind das beste, was ich bis jetzt geschrieben habe! Ihr müßt mich anhören!« 
    Und sie entfaltete ein starkes Heft, in welchem sie Lillis Tod in den verschiedensten Dichtungsarten besungen hatte. 
    Elegie auf den Tod einer vom Sturm geknickten Rosenknospe! 
    begann sie zu lesen. 
    Nellie hielt sich die Ohren zu. »Schweig still! Ich mag dir nicht anhören mit dein dumm Zeug! Aergere mir nicht damit!« 
    Ilse stimmte ihr bei. »Laß uns zufrieden, Flora,« sagte sie, »wir sind noch zu traurig, als daß wir lachen möchten! Und du weißt doch, daß alle deine Gedichte uns lustig machen.« 
    Tief verletzt schloß Flora ihr Heft, auf dessen Umschlag mit großen Buchstaben zu lesen stand: »Floras Klagelieder!« – »Ihr habt keinen Sinn für erhabene Dichtkunst, und ich will Gott danken, wenn es Ostern ist und ich diesen prosaischen Aufenthalt verlassen kann!« 
    Sie verließ die Undankbaren und suchte Rosi auf. Wenn niemand ihre Dichtkunst bewundern wollte, fand sie an ihr stets eine geduldige Zuhörerin. »Das rechte Verständnis freilich fehle ihr,« meinte Flora mit einem ergebungsvollen Seufzer. 
    Der Brief an die Mutter war abgeschickt. Acht Tage waren seitdem vergangen und noch war keine Antwort eingetroffen. Ilse war unruhig und aufgeregt darüber. Nellie, ihre einzige Vertraute, tröstete sie. 
    »Es ist ja noch kein’ Ewigkeit vorbei, seit du schriebst,« sagte sie. »Es scheint dich nur so, weil du immer daran denkst. Ich wette, heute wirst du ein schön, lang Brief haben. Mich ahnt das!« 
    Und richtig, Nellies Ahnung, die eigentlich gar nicht so ernst gemeint war, ging in Erfüllung. Es kam

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