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Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy von Rhoden
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ein Brief an Ilse. 
    »Komm sogleich in mein Zimmer, Ilse, ich habe dir etwas mitzuteilen!« Mit diesen Worten empfing Fräulein Raimar dieselbe, als sie eben aus der Kirche kam. 
    Klopfenden Herzens folgte ihr das junge Mädchen, sich den Kopf zerbrechend, welch eine geheimnisvolle Mitteilung ihrer wartete. – 
    »Ich habe soeben einen Brief von deinem Papa erhalten, liebes Kind, worin er mich bittet, dir etwas recht Erfreuliches zu verkünden. Ahnst du nicht, was es sein könnte?« 
    »Nein,« entgegnete Ilse und blickte die Vorsteherin erwartungsvoll fragend an. 
    »Dir ist ein Brüderchen beschert worden! Da, hier lies selbst, der Papa hat für dich einen Brief eingelegt.« 
    Aber Ilse vermochte nicht zu lesen in diesem Augenblick. Die Nachricht hatte sie bis in das Innerste erfreut und durchzittert. Das Blut schoß ihr heiß in die Wangen, und ehe sie noch ein Wort über die Lippen bringen konnte, flog sie dem Fräulein an den Hals und küßte dieselbe. Sie mußte an jemand ihre jubelnde Freude auslassen. 
    Als sie zur Besinnung kam, schämte sie sich ihrer Uebereilung. Wie konnte sie allen Respekt außer acht lassen und so ungeniert die Vorsteherin umarmen! 
    »Verzeihen Sie,« sagte sie befangen und trat bescheiden zurück. Aber Fräulein Raimar schnitt ihr das Wort ab und nahm sie noch einmal herzlich in den Arm. 
    »Komm her, mein Kind,« sagte sie warm, »und laß mich die erste sein, die dir von ganzem Herzen Glück wünscht.« – Später äußerte sie gegen Fräulein Güssow, daß Ilses strahlende Freude ihr so recht den Beweis für deren kindlich unbefangenes Herz gegeben habe. Anfangs habe sie nicht geglaubt, daß Ilses trotzige Natur sich jemals zügeln lassen werde. 
    Der Brief an Ilse war nur kurz und von der Mutter schon vor mehreren Tagen an sie geschrieben. Der Papa trug an der Verzögerung schuld, er hatte noch einige Zeilen hinzufügen wollen und war nicht gleich dazu gekommen. 
    »Lies erst, was sie schreibt!« bat Nellie, zu der Ilse jubelnd in das Zimmer gestürzt war, »lies erst, nachher sprechen wir von die Baby.« 
    Und Ilse las:     
     »Mein teures Kind! 
    Dein letzter Brief hat mich sehr glücklich gemacht! Ich kann den Augenblick kaum erwarten, wo ich Dich an mein Herz nehmen darf, um Dir mit einem herzlichen Kuß zu sagen, daß ich Dir niemals böse war. Ich wußte immer, daß mein Trotzköpfchen schon den Weg zu mir finden werde. Mache Dir nur keine Sorgen um vergangene kleine Sünden, sie sind längst in alle Winde verweht, denke lieber an die zukünftige Zeit, in der wir wieder beisammen sind, und male sie Dir so rosig aus, wie Deine junge Phantasie es nur zu thun vermag. Ich habe Dich sehr, sehr lieb! Mit zärtlichen Küssen 
    Deine Mama.«     
     Und der Papa hatte gestern flüchtig dazu geschrieben:     
     »Hurra! Wir haben einen prächtigen Jungen! Ich habe nur den einen Wunsch, ihn Dir, mein Kleines, gleich zeigen zu können. Er sieht Dir ähnlich, hat gerade so lustige, braune Augen wie Du! Morgen schreibe ich Dir mehr.«     
     
    »O!« jammerte Ilse unter Lachen und Weinen, »wenn ich doch gleich dort sein könnte! Ich habe so große Sehnsucht, die Mama, den Papa und das kleine Brüderchen zu sehen!« Dabei umarmte und herzte sie Nellie, und als Fräulein Güssow hinzutrat, fiel sie auch dieser um den Hals. Sie hätte in ihrer Seligkeit am liebsten die ganze Welt umarmt! – 
    Am Nachmittag, als der erste Freudenrausch sich gelegt hatte, kehrten Ilses Gedanken zu der verstorbenen Lilli zurück. Sie machte sich Vorwürfe, daß sie deren Andenken heute so ganz vergessen konnte! 
    »Komm, Nellie,« sagte sie, »laß uns im Garten Veilchen pflücken zu einem Kranz auf Lillis Grab.« 
    Fräulein Güssow stimmte diesem Vorschlage bei und begleitete gegen Abend die Freundinnen hinaus auf den stillen Friedhof. Ilse beugte sich nieder und legte den Kranz auf den frischen Grabhügel. Noch lagen die vielen andern Kränze von dem Begräbnisse darauf, aber sie waren verwelkt und trocken, und in den langen, weißen Atlasbändern spielte der Abendwind. – 
    Die Tage kamen und gingen, und das Osterfest war vor der Thür. Die Prüfungen waren bereits vorüber, und die ausgeteilten Zeugnisse hatten Freude oder Kummer hervorgerufen, je nachdem sie für die Betreffenden ausgefallen waren. Ilse konnte zufrieden sein. Mit Ausnahme einzelner Fächer, bei denen obenan das Rechnen stand, hatte sie sehr gute Fortschritte gemacht. Ihr ernstes Streben, ihr

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