Der Tuerke - Das Original
für sie keine echten Türken mehr sind) unendlich prollt, sieht er großzügig hinweg. Der Import-Bräutigam wollte ohnehin ins Ausland. Jetzt hat er die Gelegenheit. Neben einer tollen Frau bekommt er auch noch die Chance, in Europa viel Geld zu verdienen.
Nach der Hochzeit, die glanzvoll in der Türkei gefeiert wird, kommt der Import-Bräutigam nach Deutschland. Der sechswöchige Urlaub der Deutschländer ist aufgebraucht, sowohl seine Frau als auch die Schwiegereltern nehmen ihre Tätigkeit wieder auf. Die Ehefrau ist Kassiererin im Supermarkt, der Schwiegervater arbeitet im Bergwerk oder am Fließband. Die Schwiegermutter ist Reinigungskraft. Von der Souveränität, die die Familie während des Urlaubs verströmte, ist keine Spur mehr zu finden. Abends sind alle müde und klagen über ihr Leben.
Der Import-Bräutigam ahnt, dass die Heirat vielleicht doch keine so gute Idee war. Er lebt mit den Schwiegereltern unter einem Dach. Seine Ehefrau arbeitet lange und ist gestresst. Sie erscheint ihm längst nicht mehr so attraktiv wie vor Kurzem in der Türkei. Er traut sich nicht allein auf die Straße. Was ist, wenn ihn jemand anspricht? Er kann kein Wort Deutsch, kennt niemanden, hat keine Orientierung. Und das Schlimmste: Er hat kein Geld und natürlich auch keinen Job.
Seine Frau und sein Schwiegervater geben ihm Taschengeld. Das tut dem stolzen Import-Bräutigam weh. Wenn er einkaufen will, Behördengänge zu erledigen hat oder zum Arzt geht, braucht er Hilfe. Er kann nichts machen, ohne dass ihm irgendjemand zur Seite steht.
Die Ehefrau empfindet ihn phasenweise als Last. Immer muss sie für den Import-Bräutigam übersetzen. Überallmuss sie ihn hinfahren. Nach ein, zwei Monaten fängt sie an, an seiner Raucherei rumzunörgeln, und vergisst nicht zu erwähnen, dass Zigaretten auch immer teurer werden.
Der Import-Bräutigam erinnert sich an seine Zeit in der Heimat. Immer hatte er Geld in der Tasche, kannte Gott und die Welt. Sein Leben war ausgefüllt.
Aber hier in Deutschland muss er nach der Pfeife seiner Frau bzw. seines Schwiegervaters tanzen. Häufig gibt es Streit: Zwischen ihm und der Frau, aber auch ihren Eltern kommt es zu Reibereien, er fühlt sich unterdrückt, kontrolliert und von allen in die Ecke gedrängt.
Das Leben geht an ihm vorbei. Man nimmt ihn nicht ernst. Der Hauptdarsteller aus der idyllischen türkischen Stadt direkt am Meer ist zu einer unwichtigen Randerscheinung in einer grauen deutschen Stadt geworden, deren Namen er nicht einmal aussprechen kann.
Nach einer gewissen Zeit geht er in die Teehäuser. Dort stößt er auf Leidensgenossen. Die Teehäuser sind voll mit Import-Bräutigamen. Alle Import-Bräutigame sind sich darin einig, dass sie in der Türkei ein tolles Leben hatten, während sie sich hier in Deutschland wie Fische an Land fühlen.
Die Bezeichnung »Import-Bräutigam« kann je nach Tonfall auch als Beleidigung aufgefasst werden. Weshalb sich die meisten Import-Bräutigame, ohnehin paranoid wie jeder Türke, schon beim kleinsten Spaß über ihren Status aufregen und in Rage geraten. Wer als Import-Bräutigam tituliert wird, hört automatisch »Nichtsnutz«, »Schmarotzer« oder »Pantoffelheld« mitklingen. Und wird entsprechend unfreundlich reagieren.
Dem Import-Bräutigam ist klar: Es muss sich etwas ändern, so schnell wie möglich muss er seine Unabhängigkeitzurückerlangen. Er will mit seiner Frau eine eigene Wohnung beziehen. Auch soll ein Auto her, damit er nicht immer den Schwiegervater fragen muss, der sich inzwischen mehr und mehr ziert.
Zunächst besucht der Import-Bräutigam einen Deutschkurs. Er will möglichst bald einen Arbeitsplatz finden. Entweder fängt er dann als Industrie-Reinigungskraft an oder er kellnert für 20 Euro am Tag in einem türkischen Teehaus.
Wenn alles nach Wunsch läuft, hat er vier, fünf Jahre später eine so gute Stelle bzw. mehrere Jobs, dass die Frau nicht mehr zu arbeiten braucht und zu Hause auf die Kinder aufpassen kann. Mit dem wiederhergestellten Selbstbewusstsein entwickelt sich der Import-Bräutigam schnell weiter. Er kauft eine Wohnung, später sogar ein Haus. Der Import-Bräutigam ist ein echter Türke und damit natürlich risikofreudiger als die verweichlichten Pseudo-Türken in Deutschland. Als er erfährt, dass Selbständige in den ersten sechs bzw. zwölf Monaten nach der Geschäftseröffnung Überbrückungsgeld vom Arbeitsamt bekommen, eist er sich los von seinem Arbeitgeber und macht im Handumdrehen einen
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