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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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Worte.«

    »Sie waren bereit für mehr. Darf ich Ihnen etwas zeigen …«

    »Stimmt genau, Herr Doktor. Mit Ihrer Verpflichtungserklärung. Und Berichten. Die meisten davon sind etwas redselig, da bin ich der Meinung der Leipziger Kollegen. Aber diese Berichte sind durchaus substanzhaltig.«

    »Mit neunzehn … Sie waren ein guter Beobachter, andere waren mit neunzehn Offiziere im Krieg, Partisanen, ich kannte einen, der war mit neunzehn Kommandeur in Budjonnys Armee … Wie zornig Sie sein konnten! Wie wenig Sie gehalten haben von den Arbeitern, neunzehndreiundfünfzig … Da waren Sie schon zwanzig … Und ein Kämpfer, Herr Doktor, ganz auf seiten unserer Sache. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätte man Herrn Weniger exmatrikulieren sollen.«

    »Glücklicherweise waren die Kollegen etwas bedächtiger als Sie und haben unserem Land einen guten Gynäkologen erhalten. Sie haben ihn gehaßt, ihn und seine sicheren Positionen, ihn und seinen Defätismus, der doch nicht konsequent war, denn schließlich ist Herr Weniger ja hiergeblieben, seinen blanken Realitätssinn, der an nichts glauben kann … So wie Sie seine damalige Freundin verehrt haben. Davon schreiben Sie übrigens nichts, von Ihren vier Besuchen bei ihr … Falls es Sie interessiert, was Herr Weniger unterdessen tat …«

    »Er wurde befragt, ganz recht. Nicht im Testat. Das ist die Version, die Ihnen seine Freundin erzählt hat. – Aber wir kommen vom Thema ab. Wenn diese Kinder nun bestimmte Talentebesitzen, wäre es doch fahrlässig für einen Vater, sie nicht zu fördern, so gut er kann. Stellen Sie sich vor, Ihre Söhne hätten musikalische Begabung, würden Sie dann nicht alle Anstrengungen unternehmen, um ihnen die Klarinette oder das Cello zu besorgen, für die sie so talentiert sind? Ihnen Stunden geben zu lassen?«

    »Und dann ist es doch oft so, daß musikalisch begabte Kinder auch Talente auf anderen Gebieten haben, sie sind nicht dumm, die Schule bereitet ihnen keine Mühe.«

    »Vielleicht könnten hervorragende Wissenschaftler aus ihnen werden. Ingenieure. Techniker.«

    »Oder Ärzte. An denen dieses unser Land so großen Bedarf hat. – Was möchten Sie? Na, ein bißchen Licht brauchen wir schon, Herr Doktor.«

    »Aber ein solches Studium kostet Geld, viel Geld. Und vorher die Erweiterte Oberschule. Geld, das unserem Staat gehört und das er großzügig ausgibt für diejenigen, die durch Studium und Beruf einmal privilegierte Positionen einnehmen werden. Hat denn unser Staat nicht auch ein Recht darauf, zu erfahren, wer es ist, der da studieren will, woher er kommt undsoweiter?«

    »Ob er gedenkt, seine hier und, wie gesagt, auf Kosten unseres Staates erworbenen Kenntnisse auch für ihn nutzbringend anzuwenden, in den Dienst der Menschen zu stellen, die durch ihre Arbeit sein Studium möglich machten. Wir halten das für ein legitimes Interesse.«

    »Ihre Akte sollten wir also nicht so voreilig schließen, wie es die Leipziger Kollegen für richtig hielten. Ihre Frau scheint Sie von unserem Weg abgelenkt zu haben … Überschlafen Sie meinen Vorschlag, denken Sie darüber nach.«

    »In aller Ruhe. Ach, und noch eins: Wie Sie wissen, werden Ärzte hier zulande gebraucht. Es wäre Verrat an den Patienten, dieIhnen anvertraut sind. – Genosse Feldwebel! Zeigen Sie dem Herrn Doktor den Weg.«

21.
Die Karavelle
    Die »Santa Maria« hatte Lateinsegel mit roten Kreuzen, die »Nina« war dickbäuchig, über der Wasserlinie gekrümmt wie ein Türkensäbel, Robert sagte: Die schwimmt auf dem Buckel, und dann kamen Magellans Schiffe, am Bug emporschlagende Gischt, zerrissene Rahen in den Roßbreiten, roaring forties, salzzerfressene Masten und ausgelaugte Takelage; Magellan mit dem Fernrohr auf dem Achterdeck, und es war das Nichts, in das er starrte, das von Spanien und Portugal erkundete Nichts aus brandungsbestürmten Felsen, toten Buchten, schwarzen Löchern, die immer wieder Horizonte schluckten, Sonnen, Monde, Tierkreiszeichen über dem windgeknitterten Meer, und trotz allem wirkte Magellan wie ein Mann, der Zeit hatte, das kam Christian komisch vor, und er beobachtete lange diesen Generalkapitän, wie er auf einem Plakat gegenüber dem Bett die Welt umkreiste. Eine Schnur war diese Reise, um den Globus gelegt, der Äquator eine Kordel, die den Leib des Erdballs an seiner dicksten Stelle zusammenhielt; einmal rundherum, von da an gab es Grenzen. Und neben dem bärtigen Seefahrer winkte Gagarin, ein Mann in einer Raumkapsel, und

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