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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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roten Kreuzchen, bitte.« Arbogast reichte Meno das Blatt und einen Briefumschlag über den Tisch.
    »Tausend Mark?!«
    »Soviel bekommen unsere Referenten in der Regel. Guter Lohn für gute Arbeit. Umgekehrt stimmt’s auch. Das versteht man hierzulande leider zu wenig.« Arbogast wies lächelnd auf die Tabelle hinter sich. »Ich hoffe, Sie sind zufrieden. Den kleinen Stromausfall bitte ich zu entschuldigen, das häuft sich in letzter Zeit. Ich glaube, es hat Sie nicht allzusehr irritiert; Sie haben ja ohnehin frei gesprochen. Ach, und da wäre noch etwas –« Arbogast zog eine Schreibtischlade auf und reichte Meno einen schweren, in Leder gebundenen Folianten. »Unser Gästebuch.« Er nahm einen Füllfederhalter, schraubte ihn langsam auf. »Wenn möglich, mit einem Witz, bitte. Ich sammle Witze, müssen Sie wissen.« Es klopfte. Alke trat ein, flüsterte dem Baron etwas zu.
    »Achso.« Arbogast trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Er zog das Gästebuch zu sich heran, blätterte darin, nahm den Stift, warf Meno einen nachdenklichen Blick zu. »Im Garten, sagen Sie?«
    »Jawohl, Herr Baron.«
    »Ist etwas betroffen? Heizhaus? Die Gewächshäuser?«
    »Soweit wir feststellen konnten, nein, Herr Baron.«
    Arbogast schraubte den Füllfederhalter zusammen, strich mit der Hand über das Gästebuch. »Herr Londoner hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, daß er und seine Frau sich sehr freuen würden, Sie einmal wieder bei sich zu sehen. Noch einmal herzlichen Dank für Ihr Kommen, Herr Rohde. Wir haben einen guten Eindruck von Ihnen gewonnen. Wir gehen noch in die Sternwarte, aber Sie werden müde sein.« Er stand auf, reichte Meno die Hand.

20.
Dialog über Kinder
    »Kinder zu haben bedeutet ja eine hohe Verantwortung …«

    »Das sind keine Spielzeuge, die man sich aus Lust und Laune anschafft und die man einfach wieder wegwerfen kann, wenn sie einem nicht mehr gefallen.«

    »Man muß doch über diese Kinder nachdenken. Und wäre man nicht bereit, ihnen alles zu geben? Alles für sie zu tun? Damit sie zu ordentlichen Menschen aufgezogen werden? Sich entfalten können?«

    »Nun ja, Herr Doktor, ich sage Ihnen nichts Neues, obwohl es schwierig ist, allen seinen Kindern zugleich ein guter Vater zu sein.«

    »Sie wissen nicht, wovon ich spreche. Aber wir wissen, wohin Sie gehen … An Donnerstagen. – Ihre Frau, weiß die es auch?«

    »Wir sprachen über Kinder. Rauchen Sie? Möchten Sie etwas zu trinken?«

    »Wir wollen versuchen, unser Gespräch in aller Ruhe zu führen. In aller Ruhe und Sachlichkeit. Dazu gehört allerdings auch, daß Sie in Zukunft mit unseren Einladungen vorsichtiger umgehen müssen. Wenn ein Brief offen ist, und mag er äußerlich noch so normal aussehen, lädt er zum Lesen ein, das ist nun einmal so, ein menschlicher Trieb.«

    »Manche Krankenschwester, manchen Kollegen interessiert, mit wem ihr Oberarzt korrespondiert. Und eine Sekretärin hat schon von Berufs wegen mit Briefen zu tun, geöffneten und ungeöffneten …«

    »Wollen Sie für Ihre Sekretärin die Hand ins Feuer legen? – Wir sprechen in Ruhe miteinander, ganz in Ruhe, Herr Doktor. – Schauen Sie mal. Ich bin unter anderem der Verantwortliche für die Krankenhäuser im Bezirk. Das Gesundheitswesen ist – Sie wissen das ebensogut wie ich. Aber wie kann man etwas verbessern?«

    »Das ist die Frage. Das Schimpfen und Meckern bringt uns nicht voran, da hat Ihr Chef vollkommen recht. Auch das wissen Sie ebensogut wie ich. Aber vielleicht gibt es Störfaktoren?«

    »Wissen Sie, ich bin gelernter Elektriker, und wenn man sich so ein Krankenhaus als einen komplizierten Schaltplan vorstellt … Da genügt schon eine Unterbrechung, und der Strom fließt nicht mehr.«

    »Dabei liegt Strom an, der Schaltplan stimmt, aber irgendwo in dem ganzen komplizierten Geflecht gibt es einen toten Punkt, mag er zufällig entstanden sein oder nicht …«

    »Denken Sie denn, daß funktionierende Krankenhäuser, funktionierende Betriebe nicht in unserem Interesse sind? Sie haben einmal anders über diese Dinge gedacht – über Interessen. Siewaren einmal ganz auf unserer Seite. Oh, nein, nein. Als Student ist man kein Kind mehr, kein dummer Junge …«

    »Mit neunzehn ist man ein erwachsener Mensch, verantwortlich für sein Denken und Handeln … Sie studierten und handelten in Leipzig, das wissen wir. Und Sie wußten, daß es bei den Lippenbekenntnissen nicht bleiben kann, daß sie allein nichts wert sind, die schönen

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