Der Turm
Regentropfen auf der Krempe, doch da es weder geschneit noch geregnet hatte und ein potentieller Beobachter das wissen konnte, korrigierte er die Verlegenheitsgeste wiederum, indem er mit den Fingern über das Hutband rieb, als hätte er nun Staub darauf entdeckt. In diesem Moment schien er zu spüren, daß er beobachtet wurde, nicht gesehen, sondern beobachtet, von jemandem, der ihn kannte, denn er sah plötzlich zu Menos Tisch hinüber und, indem er durchs Licht trat, verbarg er sich nicht: sich zu verbergen wäre die Reaktion eines unerfahrenen Menschen gewesen, der dadurch seine Ahnung verrät; Eschschloraque trat durchs Licht, gab sich zu erkennen und ließ so die Beobachtung keine Kunst mehr sein. Er ging zur Garderobe und hängte den Hut neben Menos, wobei er stutzte, sich rasch umsah, den fremden Hut in die Hand nahm, die Banderole der Innenseite las, wo der Name eingeschrieben stand. Jäh sah Eschschloraque auf, musterte Meno kühl, hängte denHut langsam wieder an den Haken. Es war kein Platz am Tisch mehr frei, und Meno wartete gespannt, wie Eschschloraque dieses Problem lösen würde. Er schlenderte näher, die Unsicherheit durch übertriebene Drehungen des Körpers ausgleichend, starrte auf einen imaginären Punkt – als wollte er nicht, daß ein anderer Blick seinen träfe und Verlegenheit, Scham, vielleicht sogar Verdruß über die Unaufmerksamkeit entstehen konnte, den Dichter Eschschloraque nicht bevorzugt behandelt zu haben. Die Mitarbeiter des bedeutenden Frankfurter Verlags saßen mit dem Rücken zu ihm, Munderloh hielt ein Glas Raki in der Faust, ließ es auf den Tisch sausen, als er mit Schiffner stritt, leckte die Schnapstropfen vom Handgelenk. Schevola und Josef Redlich hatten Eschschloraque bemerkt, Redlich stieß Schiffner an, der winkte. Eschschloraque stand jetzt am Tisch, in einer Art Habtacht-Haltung, niemand stand auf. Die Gespräche verebbten.
»Wäre Zusammenrücken möglich?« fragte Eschschloraque, dabei lächelte er, es gelang ihm gut, dieses Lächeln, fand Meno. Es war ein wenig skeptisch, Bescheidenheit und Würde mischten sich darin, es war ohne verletzte Eitelkeit und ohne Herablassung. Er bekam einen Platz auf der Sitzbank, übereck neben Meno und Schevola, unter der geschnitzten Figur eines Nachtwächters mit Schweiflaterne, Waldhorn und wurmstichigen Augen. Schevola beugte sich zu Meno, flüsterte: »Haben Sie den Artikel gelesen, den er über Ihr Buch veröffentlicht hat?«
»Nein.«
»Nein?« Sie schien erstaunt zu sein. »Er hat Sie angegriffen. Sie, Altberg und ich seien eine fragwürdige romantische Fraktion.« »Nein. Für ihn ist es Medizin, mir verdunkelt es den Tag. Warum sollte ich es also lesen? Ich bin kein Masochist.«
»Aber wenn Sie mit dem, was er schreibt, konfrontiert werden?«
»Dann kann ich es nicht ändern. Aber erst dann.«
»Und Sie ertragen es, mit ihm an einem Tisch zu sitzen?«
Meno lächelte gequält. »Sehen Sie, so ist das in dieser kleinen Fakultät. Tagsüber Lanzenstechen, und abends hebt man ein Bier miteinander. Sie werden sich daran gewöhnen müssen.«
»Und das stört Sie nicht?«
»Wer sagt, daß es mich nicht stört? Aber –«
»Sie haben Frau und Kind.« Schevola winkte ab.
»Sie sind recht schnell mit Ihrem Urteil.« Meno trank sein Bier aus. »Hüten Sie sich davor, wenn ich Ihnen den Rat geben darf. So etwas ist zwar reizvoll moralisch und sorgt für einen ehrlichen Herzschlag, aber es tut der Literatur nicht gut. Darüber sollten wir uns auch in bezug auf Ihren Text unterhalten.«
»Was tut der Literatur nicht gut?« Eschschloraques Stimme war heiser, vielleicht lag es am dichten Zigarettenrauch, der das Lokal füllte. Er trug ein seidenes Tuch um den Hals und hatte es im offenen Kragen des weißen Hemds zu einem chevaleresken Knoten geschlungen.
»Das Moralisieren«, erwiderte Meno und schaute Eschschloraque an. »Mit einem anderen Wort: das Bescheidwissen.«
Eschschloraque betrachtete ihn prüfend, rieb sich sacht über die sorgfältig rasierten Wangen. Munderloh beugte sich vor.
»Herr Eschschloraque, ich interessiere mich für Sie.«
»Das nenne ich ritterlich das Visier gehoben. Dank dafür und für den Mut, Ihre Schüchternheit durch so direktes Anklopfen einzugestehen«, erwiderte Eschschloraque und trank dem Verleger zu. »Fräulein Schevola beispielsweise, über die Ihnen Freund Schiffner so viel Schönes zu berichten wußte, ist gar nicht schüchtern. Deshalb sind ihre Schwarzgedanken vorerst verborgen.
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