Der Turm
Rückseite, schob die Karte über den Tisch zu Schevola.
»Nicht in Vertragsverhandlungen«, antwortete sie, nachdem sie die Karte gelesen und Munderloh lange Sekunden in die Augen gestarrt hatte.
»Schön. – Wachsen also nicht nur Knechte in diesem Land.«
»Nicht so, Herr Munderloh, bitte … nicht so!« Redlich hatte sich nach vorn gereckt. »Sie treiben Finsternishandel, Lichtenberg, Heft L. Und fühlen den Druck der Regierung sowenig als den Druck der Luft, Heft J.«
Munderloh nickte. »Vielleicht haben Sie falsche Vorstellungen von den Verhältnissen bei uns. Vielleicht ich von den Verhältnissen bei Ihnen. Trinken wir doch auf das, was uns eint.«Er hob sein Glas, das er mit Wein gefüllt hatte, trank Redlich zu.
»Wir, die wir wissen, was für ein kostbares Gut Wahrheit ist … Und es ist auch eine Wahrheit, Sprache in ihrer Reinheit darzustellen …« Redlich sank zurück, sein rundliches, schnurrbärtiges Gesicht mit den verquollenen Augen, das Meno an Joseph Roths Gesicht erinnerte, geriet wieder in den Schatten. Schiffner legte ihm die Hand auf den Arm.
»Auf jeden Fall sind Sie, seid ihr«, Redlich wies mit großzügiger Geste über die Frankfurter Reihe, »viel besser gekleidet als wir!« Er lachte, hielt sich die Hand vor den Mund.
»Sie schwimmen nicht gern, stimmt’s?« Munderloh beugte sich vor, verschränkte die Hände. Es waren starke, bäurisch grobe Hände mit behaarten Fingerrücken, Meno war sich sicher, daß Munderloh in der Lage war, Walnüsse zwischen Daumen und Zeigefinger zu knacken. Der würde das Lager überstehen – diesen kantigen Kopf, die wie mit dem Beil gehauene Nase, stark wie ein Tukanschnabel, diesen Holzfällerrücken würden die Befreier sehen, die das Tor öffneten; er ist einer, der überlebt, dachte Meno und runzelte die Stirn, weil es ihn irritierte, daß er Munderlohs äußere Erscheinung mit dem Lager in Verbindung brachte; der Gedanke erschien ihm perfide. Redlich antwortete nicht auf Munderlohs Frage. Sie brachen auf. Vor der »Jägerschänke« wartete Philipp Londoner, der Eschschloraque und Schiffner vertraut begrüßte. Schevola war verschwunden.
Bei Philipp war es warm, Marisa hatte stark eingeheizt; Meno und Eschschloraque zogen bald die Jacketts aus. Philipp schien zu frieren, er lief unruhig auf und ab, rieb sich die Hände, machte hin und wieder eine Kniebeuge, wenn er neben dem aserbaidschanischen Kupfertischchen vor der Wand mit den Tausenden hellbraunen, blauen, weißen und rotrückigen Reclam-Bänden hielt. Eschschloraque wußte um Menos Verhältnis zur Londoner-Familie, hatte sich aber dennoch gewundert, daß er bei Philipp übernachtete. Meno hatte geschwiegen und sich seinerseits Gedanken gemacht, warum Eschschloraque hier war. Jochen Londoner kannte ihn, Meno wußte auch, daß er im Haus am Zetkinweg in Ostrom öfters zu Gast gewesen war, aber dasvertraute Verhältnis zwischen Philipp und Eschschloraque überraschte ihn.
»Dieser Nachtwächter«, sagte Eschschloraque, wobei er das Teeglas, das ihm Marisa gebracht hatte, langsam drehte und sinnend den Schwebeteilchen in der roten Flüssigkeit zusah, »dieser Nachtwächter in der ›Jägerschänke‹, Sie haben ihn natürlich bemerkt, Herr Rohde? Selbstverständlich. Wer so über Spinnen zu schreiben versteht, bemerkt auch einen Nachtwächter. Was meinst du, Philipp, braucht der Kommunismus Nachtwächter? Freund Rohde hier würde die Frage sicherlich bejahen, er vertraut auf die Unveränderlichkeit gewisser Angelegenheiten, menschlicher zumal – aber wer weiß.«
»Nachtwächter? Blödsinn. Wir haben andere Sorgen.«
»Aber es wäre doch mal eine lohnende Frage für euer Institut. So humoristisch, wie du glaubst, ist sie gar nicht.«
Philipp zuckte die Achseln, setzte sein Auf- und Ablaufen fort. Marisa kam herein, machte es sich auf der Couch neben Eschschloraque bequem, zündete sich einen von Philipps Zigarillos an.
»Sag mir lieber, wie das Treffen vorhin war, mit den Frankfurter Leuten.«
»Eine ziemlich gemischtkapitalistische Soirée. Sie schauen uns mitleidig und neidisch zugleich an. Mitleidig, weil wir so furchtbar naiv sind und uns partout den Glauben nicht nehmen lassen wollen, daß das geschriebene Wort die Welt verändert. Neidisch: Weil wir damit, wenigstens in diesem Teil des Vaterlands, durchaus recht haben. Wut ist übrigens auch dabei. Sie mögen es nicht, wenn wir sie beim Nachlassen ertappen. Sie haben eben keine staatlichen Produktionsbedingungen. Daß sie
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