Der Turm
Ich darf einen weiteren psychologischen Sprung wagen: Das Problem ist der Zensor, der recht hat, meine Liebe. – Im übrigen, Herr Munderloh: Wie wird mir denn? Ihr Haus, so geistreich ohne mich?«
»Ich meinte es persönlich – wenn Sie gestatten. Stalinismus und Esprit, wie geht das zusammen?«
Eschschloraque lächelte. »Schlaf schneller, Genosse, dein Bett wird schon gebraucht! – Na, Herr Rohde, Erinnerungen an alte Kommunalka-Zeiten?«
»Aber Sie können doch nicht … die Toten«, sagte der Frankfurter Pressechef ungläubig.
»Tote müssen sein«, entgegnete Eschschloraque kühl. »Tun Sie doch nicht so, als ob bei Ihnen nicht gestorben würde. Die Feinde gehören ausgemerzt, das ist sinnvoller, bewährter Brauch von Zeitaltern, die Großes vollbringen. Und es ist allemal besser, für eine große Sache zu sterben, als für eine mittelmäßige zu leben.Die echten Demokraten unter Ihnen sollten vor dem Hauptgang protestieren; Scharfsinn meidet die Verdauung.«
»Reden wir doch über Fußball!« Redlich blinzelte in Richtung des Frankfurter Pressechefs, aber der versteifte den Rücken.
»Lieber Redlich, Sie wollen höflich sein und uns Peinlichkeiten ersparen. Sehen Sie, mit den Feinden verhält es sich beispielsweise so: Herr Rohde, den ich schätze, ist ein subtiler Spaßvogel und hat sich jüngst einen, sagen wir, Angestellten-Scherz erlaubt. Als Lektor, der weiß, was sich gehört, korrigiert er mit Bleistift, an einer Stelle jedoch, die man zweideutig lesen kann, setzt er ein rotes Komma. – Sie haben«, lächelte Eschschloraque, »ein rotes Komma hinter den Sozialismus gesetzt. Sollte das etwas zu bedeuten haben? Etwa, daß der Sozialismus nicht das letzte Wort ist?« Eschschloraque hielt einen kleinen Vortrag über Klostermönche, die ihre Kommentare zu den abzuschreibenden Texten auf ebenso subtile Weise gegeben hätten, durch Hervorhebung bestimmter Buchstaben nämlich, über mehrere Seiten und Kapitel, so daß in einer hehren Minneliedsammlung das lateinische Troubadour du bist ein Rohrkrepierer verborgen, für die geübten Augen der Philologen aber sichtbar gewesen sei.
Schiffner zog seinen Kamm aus echtem Büffelhorn aus der Jackett-Innentasche und strählte die weiße Haartolle über seinem markanten, in Krim-Urlauben gebräunten Gesicht. »Deshalb klangst du so furchtbar ruhig am Telefon.«
»Rossi war großartig! Der hat doch die Blauen quasi allein zur Weltmeisterschaft geschossen«, rief Josef Redlich.
»Sie können schreiben?« Munderloh beugte sich zu Judith Schevola.
»Ich versuche es«, erwiderte sie mit abweisend vorgerecktem Kinn.
»Sie versucht es!« Der Verleger hieb mit der Hand auf den Tisch. »Könnten Sie einen Delphin töten?« Die Gespräche am Tisch verstummten erneut.
»Das käme auf die Situation an, Herr … Wie war Ihr Name?« Munderloh starrte erst sie, dann Schiffner an, der sich amüsierte. Eschschloraque faltete die Hände unter dem Kinn zusammen, beobachtete witternd, sein Gesicht hatte den Ausdruck eines Wissenschaftlers, der auf das Ergebnis einesinteressanten Experiments wartet, das unmoralisch ist, aber unvermeidlich.
»Mein Name ist Munderloh. Sie gefallen mir. Allerdings ist Ihre Antwort, daß es auf die Situation ankomme, allzu erwartbar. Auf die Situation kommt es nämlich immer an.«
»Ich hasse Delphine«, sagte Schevola kalt. »Sie sind immer so lieb und nett, sie retten Schiffbrüchige und stehen dem Dichter Arion bei, umtanzen Bacchus’ Kahn, sonnen am neuen Lichte den Rücken … aber ich traue ihnen nicht.«
»Es gibt eine Schule der bösen Delphine«, murmelte Redlich. »Schwarze Delphine, die uns nicht wohlgesonnen sind –«
»Josef, was redest du.« Der Frankfurter Pressechef bewegte unmutig die Hand.
»Ich würde schon deshalb gerne mal einen Delphin töten, um zu sehen, was die anderen Delphine machen. Ob sie so lieb und nett bleiben, ob das Klischee stimmt – oder ob sie dann ihren wahren Charakter zeigen«, sagte Schevola, wobei sie Munderlohs Blick – hart, aus Augen, die wie hellblaue Steine wirkten, ein Blick wie ein Stab, wie eine Präpariersonde, dachte Meno – nicht auswich.
»Ich werde Ihr Manuskript lesen«, sagte Munderloh nach einer Weile, in der am Tisch Schweigen geherrscht hatte und nur die Geräusche aus dem vorderen Teil der »Jägerschänke« zu hören gewesen waren. »Ich werde es lesen, wenn Haus Hermes es mir überläßt.« »Schwimmen Sie gern?« Er nahm eine Visitenkarte, kritzelte etwas auf die
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