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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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daraufhin immer wieder auf unser in der Regel mäßiges Papier zurückkommen, bestätigt deine These, daß der Geist unter den Bedingungen des Marktes kuhartig Oberflächen abgrast. Wie geht’s übrigens am Institut?« Philipp arbeitete als Dozent an einer Leipziger Außenstelle des Instituts für Gesellschaftswissenschaften.
    »Nicht besonders. Ich komme nicht voran.«
    »Weil du zu jung bist?«
    »Nein, das ist nicht das Problem.«
    »Hattest du dich nicht für eine Professur beworben?«
    »Ich werde sie wohl auch bekommen, aber … Das Institut verliert an Einfluß, es wird kaum noch ernst genommen.«
    »Dann geh in die Politik.«
    »Es ist gut, seine Grenzen zu kennen. Ich bin in der Theorie besser aufgehoben.«
    »Was nicht gegen dich sprechen muß. Was auch nicht für die Praxis sprechen muß.«
    »Ja. Theorien können mächtige Veränderer sein. Und ich bin kein Volkstribun, wie es der Spitzbart war, trotz allem.«
    »Nicht so despektierlich, wenn ich bitten darf. Er war kein übler Politiker, alles in allem genommen. Viel besser als der da.« Eschschloraque wies über die Schulter zurück auf ein Porträt des Generalsekretärs auf einem der Regale.
    »Politiker – mag sein. Als Mensch … Meine Abteilung wird ein wenig geschnitten.«
    »Woran liegt’s?«
    »An meinem Namen, glaube ich. So paradox das klingt. Und wohl auch daran, daß wir in England waren.«
    »Meinst Du? Bißchen einfach, wenn du mich fragst. Aber immerhin: Möglich wäre es schon. Sie sind nicht gerade Philosemiten, die Genossen im Dunstkreis des Politbüros.«
    »Lassen wir das«, brach Philipp ab. Er sah zu Marisa, die ruhig rauchte und aus dem Fenster starrte. »Wie meintest du das mit diesem Nachtwächter?«
    Eschschloraques Gesicht bekam etwas Clowneskes, wenn er lächelte. Die faltigen Wangen und stark ausgeprägten Tränensäcke schienen zu einer Maske zu gehören, hinter der listige Züge wie Springteufelchen darauf warteten, hervorzuschnellen und auf der für Momente freien Bahn Purzelbäume zu schlagen, auch hatte Meno den Eindruck, daß Eschschloraque bei allen schönen Reden hauptsächlich daran interessiert war, aufzustehen und über dem Tisch einen Flickflack zu turnen. »Gibt er dir also doch zu denken, unser Nachtwächter. Nun, ich habe einen in dem Stück, an dem ich gerade arbeite. Ein Nachtwächter, glaube ich, ist ein Idealist aus Verzweiflung. Niemand ist mehr auf den Straßen – wenigstens nicht offiziell – außer ihm und der Dunkelheit. Naja, vielleicht lasse ich noch eine Katze auftreten. Seine Lampe ist das einzige Licht in der Nacht. Denn natürlich ist eseine Nacht – und nicht ein lauschiges Sterntalermärchen. Die Menschen schlafen – er wacht. Er trägt die Lampe durch die Finsternis. Und muß damit zurechtkommen. Er verneint die Natur, mehr noch: Er haßt sie – qua Amt.«
    »Ist das wieder eine deiner Verteidigungen der Klassik gegen die Romantik?«
    »Warum sollte ich die Klassik gegen etwas verteidigen, das der englische Geheimdienst ausgeheckt hat? Leider aber scheint die Dummheit … das Gleichnis der Unsterblichkeit zu sein.«
    Philipp lachte auf. »Führst du immer noch Dossiers über deine Feinde?«
    »Das geht Freund Rohde nichts an«, erwiderte Eschschloraque. »Danke für den Tee, gnädige Frau.« Er stand auf und verbeugte sich vor Marisa.

26.
Wolken im April
    »Glaubst du, daß es die Wahrheit gibt?« Verena zupfte den Pullover zurecht, dessen Ärmel sie über der Brust verknotet hatte. Siegbert ließ sich Zeit mit einer Antwort. Es war warm, der April schien Kredit beim Mai aufgenommen zu haben. Sie lagen im Gras eines Abhangs über dem Kaltwasser, Christian beobachtete die wechselnden, von Strömungen und Wind getuschten Schriften auf dem Apfelgrün der Talsperre. Am anderen Ufer tuckerte die Erzgebirgsbahn, klein wie ein Märklin-Spielzeug, setzte die Fichten an der Trasse unter Dampf.
    »He, Verena, ich glaub’ an Pink Floyd«, versetzte Jens Ansorge gelangweilt, zog eine Hand unter dem Kopf vor, nahm den Grashalm, an dem er gekaut hatte, aus dem Mund, betrachtete ihn mißtrauisch. »Krischan, du weißt doch immer alles, kannst du mir sagen, was das ist? Schmeckt bitter wie Fiebertabletten, bäh.« Er verzog das Gesicht und spuckte aus.
    »Du Ferkel, benimm dich mal ’n bißchen! Fast hätte mich deine Aule getroffen!« Reina Kossmann warf angewidert den Kopf zurück, Jens grinste hämisch, zerstach imaginäre Luftballons mit dem Zeigefinger. Falk Truschler ließ sich nach hinten

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