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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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draußen, um frische Luft zu schnappen. Der Garten war auf einmal fremd, die schaumigen, dunkelblauen Baumschatten bedrohlich, von irgendwoher kam immer noch die Schlagermusik, plötzlich zerschnitten von Gekreisch, als würde jemand durchgekitzelt. Wie langweilig, wie sinnlos! Und all diese Blüten und Gewächse, die einander wie Kräfte in einem höflichen und ungerechten Spiel bedrängten, gab es auch ohne ihn; diese Erkenntnis bestürzte ihn so, daß er es auf dem Balkon nicht mehr aushielt. Die Tür öffnete sich. Verena schaltete das Licht ein, zuckte zusammen. »Hast du mich erschreckt. Ich wußte nicht, daß du da bist –«
    »Wo sind die anderen?«
    »Noch in der Bar. Siegbert ist mit Muriel und Fabian weg. Hast du Reina gesehen?«
    »Nein.«
    »Sie ist kurz nach dir gegangen. Christian … Darf ich dir was sagen?« Sie sah an ihm vorbei, er mußte schlucken. Verena wollte in den Garten gehen, an den Eisentisch, aber er wehrte ab, obwohl er, weil er Vorwürfe erwartete, für einen Augenblick Rachsucht verspürte.
    »Na gut, wir können auch hierbleiben«, sagte sie.
    »Nein, ich … Würdest du mitkommen? Ich möchte dir die Karavelle zeigen. Nur von außen –«
    Sie zögerte, er wandte sich ab. »Wir brauchen nicht zu klingeln, ich mag nicht ins Haus … Es ist nicht weit«, sagte er leise.
    Sie gingen durch die nächtlich leere Mondleite, auch bei Teerwagens war es jetzt dunkel. Verena sagte lange nichts, und er drängte nicht, erinnerte sich an den Spaziergang mit Meno im Winter, vor der Geburtstagsfeier in der »Felsenburg«, wie geheimnisvoll und voller Geschichten ihm das Viertel erschienen war, jetzt wirkte es verschlossen. Verenas Kleid bekam etwas Geisterndes über den wie graue Bänder liegenden Straßen, sie trug weiche Schuhe, er hörte ihre Schritte nicht. »Ich finde es nicht richtig, daß du einfach gegangen bist«, sagte sie, als sie schon auf der Heinrichstraße waren, auf der nur noch Licht bei Niklas und in der Nr. 12, dem Glyzinienhaus, brannte, dessen Duft sich mit dem des Holunderstrauchs vor der »Karavelle« mischte. »Wir hatten uns so auf diesen Abend gefreut, und dann –«
    »Hier wohne ich sonst«, Christian zeigte über das bogig geschwungene Tor auf das Haus Nr. 11.
    »Sei mir nicht böse, wenn ich dir das sage.«
    »Nein.«
    »Ich weiß nicht, ob du das selber merkst, aber du hast so eine Art … Wir tanzen, du sitzt in der Ecke. Wir sind fröhlich, du ziehst ein Gesicht.«
    »Schon klar. Meine Arroganz –«
    »Du brauchst nicht zynisch zu werden, bitte versteh’ mich, ich müßte dir das alles nicht sagen –«
    »Na, dann tu’s doch nicht.«
    »Eigentlich bist du ziemlich unreif«, erwiderte Verena leise. »Schade.«
    »Aber Siegbert, der ist reif.«
    »Laß uns zurückgehen. Du bist eingeschnappt wie ein Pfau. Hör mir doch mal zu! Oder verträgst du’s nicht, wenn man dich kritisiert?«
    Sie gingen schweigend zurück, nicht über die Wolfsleite, wo Muriel und Fabian wohnten; er wußte nicht, ob sie Verena ihre Adresse gegeben hatten.
    »Na los, was wolltest du mir denn sagen?« stocherte er, als sie wieder auf der Mondleite waren.
    »Ja, das ist Arroganz«, sagte sie nachdenklich, »du stellst uns in Frage, denn für dich ist das alles zu blöd, was wir machen … So ein niedriges Tanzvergnügen; dann dein Gesicht, so: Hachgott, was muß ich leiden, keiner liebt mich, in dieser Welt voll billiger Rockmusik und blöden Rumgehopses muß ich allein bleiben, keiner versteht mich, ich bin so verkannt, so arm dran!«
    »Bach ist es wirklich nicht, was die da klampfen –« Christian fröstelte vor Wut.
    »Ja, das meine ich. Diese Geringschätzung. Dein arrogant gekrümmter Mund dabei, da brauch’ ich keine Lampe, um den vor mir zu sehen. Aber was die machen, ist mir zehnmal lieber als deine verwöhnten –«
    »Ach, laß«, unterbrach er sie.
    »Ich glaube, du bist feige«, rief Verena ihm nach.

32.
Ostrom II. Barsano
    »Es interessiert mich nicht, was Fräulein Schevola meint!« Schiffner stand auf und begann erregt im Zimmer auf- und abzulaufen. »Ich möchte – nein: Ich verlange von Ihnen, daß diese Szene verschwindet! Wir kommen eben vom Kongreß, Sie haben die Direktiven genausogut gehört wie ich, und dann kommen Sie mir damit!« Schiffner warf die Seiten in die Luft, sie segelten langsam zu Boden.
    »Wir zerstören das Buch, wenn wir darauf bestehen, solche Szenen zu streichen«, erwiderte Meno leise.
    »Ach was! Dann muß sie den Kram eben umschreiben. Wozu

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