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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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kommt nicht durch.«
    »Ich verspreche Ihnen, alles zu tun, was ich kann.«
    »Und was können Sie tun?« erwiderte Schevola auf Menos Einwurf gereizt. »Sie wissen doch genausogut wie ich, wie das läuft. Und am Ende geben Sie mir ein Honorar auf zehntausend, aber das Buch erscheint nicht.« Das war eine durchaus übliche Praxis, Meno bestritt es nicht: Der Verlag honorierte einemsogenannten schwierigen Autor eine Auflage, die fiktiv war, zum Beispiel zehntausend Exemplare, aber es wurden von diesem Buch tatsächlich nur ein paar hundert gedruckt, die in irgendwelchen Giftschränken verschwanden – und der Autor, obwohl betrogen, konnte sich noch nicht einmal beklagen.
    »Ich würde weit gehen«, sagte Meno. »Sie haben ein großes Talent, und ich … bin Ihnen dankbar, daß Sie mir als Lektor vertrauen. Sie schreiben ungewöhnlich. Sehr französisch. Elegant, leicht, schweifend, gar nicht so schwerfällig wie sonst viele deutsche Autoren, vor allem hiesige.«
    »Das sagen Sie mir zum ersten Mal.« Schevola wandte sich ab. »Ich will Sie nicht trösten. Ihr Buch durchzubekommen, wird eine harte Aufgabe werden. Sie haben Feinde.«
    »Warum?«
    Meno glaubte ihr das naive Erstaunen, das er auf ihrem Gesicht las. »Warum? Sie sind lebendig. Sie haben Temperament und Leidenschaft. Sie kennen Menschen, Sie haben eine Sprache, die den Namen verdient. All das zusammen macht, daß man, wenn man Sie liest, das Gefühl hat, etwas Wahres zu lesen. Nicht im Sinn von Propaganda.«
    »Etwas Wahres, sagt mein Lektor! Dafür kann ich mir nichts kaufen. Ich habe den Eindruck, daß das Publikum das gar nicht wirklich will. Sie wollen Unterhaltung und Ablenkung, sonst hätten Sachen wie ›Die Aula‹ nicht solchen Erfolg.«
    »Sie wollen Verkaufserfolge? Werden Sie nicht bekommen. Das ist auch nicht Ihre Sache, meiner Meinung nach.«
    »Aber die anderen werden gepriesen und hofiert, ich muß Kratzfüße machen und antichambrieren –«
    »Hören Sie«, unterbrach Meno, »keiner von denen ist in der Lage, eine Szene zu schreiben wie die, in der sich Ihre Heldin von ihrem Vater verabschiedet. Sie beklagen sich über Mißerfolg. Mißerfolg macht empfindlich. Empfindlichkeit ist, neben der Herkunft, das größte Kapital eines Schriftstellers. Lassen Sie sich nicht korrumpieren.«
    »Sagte der Mann mit dem festen Einkommen. Sie haben leicht reden vom Mißerfolg. Und ich hab’ zwar Talent, wie Sie sagen, aber keiner wird es wissen.« Er spürte, daß sie müde war, und erwiderte nichts. Sie bogen in den Karl-Marx-Weg. An derToreinfahrt zum Schneckenstein wurden sie von Soldaten angehalten, die ihre Ausweise und Menos Aktentasche kontrollierten. Ein Feldwebel rief im Schloß an, Meno und Schevola warteten, es hatte keinen Sinn, sich über die Prozedur aufzuregen und darauf hinzuweisen, daß Kontrolle und Anruf bereits bei den Wachtposten am Brückenauf- und -abgang erfolgt waren. Das Tor, eine mehrere Meter hohe Stahlwand auf Schienen, öffnete sich wie eine Kulisse und schloß sich hinter ihnen wieder.
    Die Auffahrt war asphaltiert, früher mochten Kutschen die von Kugellampen illuminierten Serpentinen zum Schloßgebäude hinaufgefahren sein. Hohe Bäume beschatteten den Weg, es war hier merklich kühler; Meno gab der fröstelnden Schevola sein Jackett. »Kennen Sie Barsano?« Er fragte es, damit sie nicht ablehnte.
    »Nur von fern. Und Sie?«
    »Ich bin schon ein paarmal hiergewesen.«
    »Sie sind in Moskau geboren, nicht wahr?«
    Meno sah sie überrascht an. »Woher wissen Sie das?« Sie zwinkerte ihm zu. »Ich weiß gern über die Menschen Bescheid, mit denen ich zu tun habe. – Wußten Sie, daß Barsanos Vater Mitbegründer der Komintern war?«
    »Und der KPD, zusammen mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Dreiunddreißig ist die Familie nach Moskau emigriert, sie haben im Hotel Lux gewohnt, Barsano hat die Liebknecht-Schule besucht. Der Vater ist bei den Säuberungen ums Leben gekommen.«
    »Das wußte ich nicht«, sagte Schevola.
    »Erwähnen Sie’s auch nicht. Mutter und Geschwister wurden verhaftet, er als Sohn eines Volksfeinds von der Schule relegiert und nach Sibirien verbannt. Er hat in den Bergwerken geschuftet und seinen linken Zeigefinger verloren. Tun Sie nachher so, als ob Sie es nicht sähen.«
    »Wie lange sind Sie in Moskau gewesen?«
    »Ich weiß es nicht genau. Ich habe nur verschwommene Erinnerungen. Manchmal fallen mir Bruchstücke von Kinderliedern wieder ein. Mein Bruder ist Achtunddreißig geboren, er weiß

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