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Der Turm

Der Turm

Titel: Der Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Tellkamp
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gekommen seid, würde ich wahrscheinlich Schwierigkeiten bekommen. Als wenn’s nicht Tausende erlebten und irgendwann zu Hause erzählen.
    Feldlager. Am 4. ging’s früh um 3.30 Uhr mit »Gefechtsalarm« los. Trillerpfeifen, Geschrei, Hektik. Innerhalb einer Normzeit abmarschbereit stehen, Graudecke lang übers Bett. Abrücken auf einen vorgegebenen Stellplatz, dort warten wir. Plötzlich befiehlt Fisch: Ganze Abteilung – kehrt! Wir drehen uns um 180°. Fisch tritt neben uns, weist zum Horizont: Sehen Sie sich den Sonnenaufgang an – so was ist selten! Sehn Se vielleicht nie wieder in dieser Pracht! Die Kompanie wird bei Erscheinen des Wachhabenden in Gruppen aufgeteilt. Irrgang, Breck und ich gehören zur Munitionsgruppe. Ab geht’s in den Technikpark, 60 Panzer, die von werweißwoher anrücken, sind aufzumunitionieren. Munitionskisten schleppen. Ein Panzer enthält einen Kampfsatz von 43 Granaten, jede davon wiegt 50 kg. 43 x 50 = 2150 kg. Wir sind zu zehnt, also 2150 x 60 : 10 = 12900 kg aufzumunitionierende Granatlast für jeden. Die Granaten müssen »in Kette« zugeworfen werden, im Panzer schiebt sie ein Fahrer in die Halterungen. Nach dieser Übung habe ich mich beim Geradeausstarren, beim sog. »Atmen«, ertappt. Man steht da und atmet. Das ist alles. Die Panzer, die mit uns ins Feldlager fahren, werden auf dem Güterbahnhof auf bereitgestellte Waggons verladen. Wir fahren in Viehwaggons, wo uns der Mongole erlaubt, uns auf das Rüttstroh zu legen, in Richtung Cottbus, werden stundenlang rangiert, dann weiter in Richtung Frankfurt/Oder. Das Feldlager liegt in der Nähe der polnischen Grenze, die Oder ist nicht weit. Als wir ins Lager marschierten, konnten wir den Eisgang hören. Das Lager steht im Wald, 20 Waggons aus den Kriegsjahren im Karree, dahinter ein Steingebäude für die Fahrlehrer und Offiziere; die Waggons sind unsere Unterkünfte. In den Waggons befinden sich ein Tisch, ein Ofen (bei allen fehlt das Ofenrohr), zum Schlafen dient ein Bretterboden, der sich auf beiden Schmalseiten quer durch den Waggon zieht. Wir sind zu 16, 4 oben, 4 unten, gegenüber ebenso, für jeden knapp 1 Meter Platz. An meinem Platz lag 1 toter Hirschkäfer (Weibchen), ich hatte nur leider nichts zum Aufbewahren und wußte nicht, wohindamit, konnte ihn ja auch nicht in den Brief stecken (die Stempel beschädigen so). Irrgang sagt: Gib mich ma’ her, das Vieh, ist immerhin ’n bißchen Eiweiß, und wer weiß, ob wir hier nich nur mit Komplekte feiern! Gefrorener Staub überall, von der Decke hängt er wie 1 Wald aus schmutzigen Häkelnadeln. Immerhin ist Strom da, 1 Glühbirne wirft 1 Lichtkreis. Als erstes verstauen wir die Ausrüstung, dann graben wir die Kompanietoilette. Muß jeder Jahrgang aufs neue machen. Zum Waschen gibt’s eine Freileitung, natürlich zugefroren, aber die Fahrlehrer haben dran gedacht und tauen sie per Flammenwerfer auf. Das Wasser kommt per Pumpe aus dem Waldboden, läßt die Haut jucken, weil es sauer ist (und natürlich nicht trinkbar). Waschen wird so zum wahren Vergnügen: Jeden Morgen treten wir in Turnhose, sonst nackt bis auf die Stiefel, bei erfrischend kühlem Winterwind vor den Waggons an und rücken im Laufschritt: marsch! durch den Pulverschnee an die Tröge, in denen das Wasser gefroren ist, zum Waschen ab, hacken das Eis mit der Panzeraxt auf und genießen das Vollbad. Worin besteht der Unterschied zwischen einem Stinktier und einem Unteroffiziersschüler nach einigen Tagen Feldlager? Der Unteroffiziersschüler hat kein Kölnischwasser. Jeden Morgen wird um 5 Uhr geweckt, dann 10 min Zeit zum Waschen, 10 min zum Herstellen der »inneren Ordnung«, Frühstück: »E-Büchsen« (E für Einsatz). Dann Abmarsch zur Ausbildung, die von 6 Uhr bis 20 Uhr dauert. Schießübungen mit Einsteckrohr (wird in die Panzerkanone geschoben, um Granaten geringeren Kalibers verschießen zu können), mit dem Panzer-MG. Übungen mit der scharfen Handgranate. Wir marschieren mit den »Zitronen«, wie sie heißen, in den Beintaschen zu einem ausgebrannten T 34, der hier im Forst steht, klettern rein, ziehen den Ring an der Granate, heben uns kurz aus der Deckung und werfen die »Zitrone« in Richtung eines aus einer abgesägten Kiefer hergestellten und von der Zitronenwirkung schon sehr mitgenommenen Klassenfeinds. Irrgang: Was mach ich, Jenosse Untafeldwebel, wenn mir die Granate offe Flossen fällt? – Hamse schon gezogen? fragt Unterfeldwebel Glücklich. – Denke doch, Jenosse Unterfeldwebel!

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