Der überflüssige Mensch: Unruhe bewahren (German Edition)
Ranking dominieren. Erweitert man seine Suchanfrage um »Hunger«, wird man in zwei untereinander aufgeführten Links zunächst zum Noma-Restaurant und darunter zu »Ethiopiaid«, einer Hilfsorganisation, geleitet. Das Foto eines halbseitig zerfressenen Mädchengesichts ist somit nur zwei Klicks entfernt von dem Bild eines elegant komponierten Gerichts aus Kastanie und Rogen in Walnussbuttersauce.
Das Schicksal der Ausgegrenzten entzieht sich der Aufmerksamkeit, geschweige denn der Empathie der Nützlichen und Gesunden. In allen Folgen von »The Walking Dead« wird der existenzielle Antagonismus zwischen Zombies und Lebenden nie infrage gestellt. Die Weltbank, laut Satzung dem Kampf gegen die Armut verpflichtet, erwähnt in ihrem Bericht »The Burden of Disease« die Krankheit Noma kein einziges Mal. Es sterben also jährlich Hunderttausende Kinder an einer nicht existenten Krankheit.
Nicht ansteckende Krankheiten wie diese können uns nicht bedrohen. Die Kranken sehr wohl schon, wie wir in »The Walking Dead« erfahren. Als Zuschauer werden wir zu Komplizen eines Kampfes um Tod oder Leben und reagieren schließlich mit Erleichterung und Befriedigung darauf, dass den Zombies der Kopf weggeblasen wird. Irgendwann haben wir die Prämisse der Erzählung verinnerlicht. Die Unmenschlichen zwingen uns, gelegentlich Unmenschliches zu tun, wie etwa einen Zombie aufzuschneiden, um herauszufinden, was er kurz zuvor verspeist hat. Dieses Prinzip ist natürlich alles andere als neu, es dominiert die Selbstrechtfertigung aller kolonialen und imperialen Aggressionen.
Nur werden diese im apokalyptischen Film in die Zukunft gerichtet. Es herrscht Knappheit vor, es ist nicht genug für alle da. Die Horden sind inzwischen überall. Weil wir die Wildnis nicht mehr zivilisieren können, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Nischen des vertrauten Lebens zu verteidigen, mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen. Nicht die Moral des Helden ändert sich, wie im klassischen Drama, sondern die Moral des Zuschauers, der Einsicht in die Notwendigkeit erlangt, dass die ekligen, alles bedrohenden Opfer des Untergangs massakriert werden müssen. Es gilt die Devise: Rette sich, wer kann.
Drum gehn ma halt ein bisserl unter,
’s is riskant, aber fein.
Jura Soyfer, Weltuntergang ( 1936 )
In diesem Sinn sind die Unterhaltungsfilme der Weltuntergangsindustrie erstaunlich visionär. Wir sind nicht mehr weit entfernt von einer Unterteilung der Erdbevölkerung in »Brutale« und »Ewige«, wie sie der Genreklassiker »Zardoz« vornimmt, der im Jahre 2293 spielt: Die Brutalen vegetieren dahin in einer verwüsteten Landschaft, gepeinigt von Krankheit und Hunger, gejagt und versklavt von Schergen (im Original »Exterminators«), die dem Gott Zardoz dienen. Die unsterblichen Ewigen hingegen leben in einem paradiesisch anmutenden Idyll namens »Vortex«, geschützt durch eine unsichtbare Wand vor den Brutalen. Dort führen die Ewigen ein luxuriöses Leben, das durch einen allmächtigen Computer reguliert wird.
Auswege
Es ist nicht die Ökonomie, die in der Krise ist,
die Ökonomie ist die Krise; es ist nicht die Arbeit,
die fehlt, es ist die Arbeit, die überflüssig ist; nach
reiflicher Überlegung ist es nicht die Krise, sondern
das Wachstum, das uns deprimiert.
Unsichtbares Komitee, Der kommende Aufstand
Was wir gegenwärtig erleben, ist keine kleine Krise des Kapitals, die bald überwunden sein wird auf dem Weg zu den blühenden Landschaften der Vollbeschäftigung und der sozialen Gerechtigkeit, sondern ein strukturimmanentes Problem, das sich verschärfen wird. Wir werden diese negativen Entwicklungen nicht mit einer inspirierten Steuer- oder Investitionspolitik oder mit weiterer Konsumsteigerung meistern können. Bürgerliche Ökonomen der ersten Stunde haben es geahnt. John Stuart Mill formulierte die Überzeugung, kapitalistisches Wachstum sei wichtig, erreiche jedoch irgendwann die Grenze, an der weiteres Wachstum nicht erstrebenswert sei und man zur Kontemplation zurückfinden müsse, um Zeit zu haben für sich und die Natur.
The Big Hole im südafrikanischen Kimberley hat uns die kapitalistische Sackgassenentwicklung im Zeitraffer vorgemacht. Zunächst teilten sich Tausende von Prospektoren das diamantenreiche Schürfgebiet inmitten Südafrikas, der einstige Hügel verschwand, Spitzhacken und Schaufeln gruben ein Loch, heute knapp einen halben Kilometer breit und mehr als zweihundert Meter tief. In den Anfangsjahren
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