Der Überraschungsmann
das Geländer ge lugt. Zu meiner Überraschung hatte sich auch Charlotte in Schale geschmissen und ein für eine Dreizehnjährige erstaunlich professionelles Make-up aufgelegt. Sie war in enge Jeans geschlüpft und trug die Bluse so weit offen, dass ihre beiden neuesten Errungenschaften, die Emil gern ihre »offensichtlichen Talente« nannte, fast herausfielen. Paulinchen hingegen steckte bereits in ihrem rosafarbenen Lillifee-Schlafanzug, auf dem frische Zahnpasta klebte. Ihr war es herzlich egal, wie sie auf die neuen Nachbarn wirkte. In dieser Hinsicht kam sie nach ihrem Halbbruder Emil. Dafür besaß sie einen hinreißend kindlichen Charme.
»Schaut mal, was ich hier habe!« Entwaffnend streckte sie den Gästen ihren weißen Kuschel-Teddybären entgegen.
»Hi, Teddy«, sagte Lisa. »Ich bin Lisa. Und wie heißt du?«
»Auch Lisa«, sagte Pauline zu meiner Überraschung. Bisher hatte der Teddy einfach nur Teddy geheißen.
»Quatsch nicht so blöd!«, zischte Charlotte und warf ihre Mähne eine Spur zu gekünstelt über die Schulter. »Ich bin Charlotte, und das ist meine Babyschwester Pauline.«
»Ich bin neun!«, verteidigte sich Pauline und schmiegte sich schutzsuchend an mich. »Du bist voll in der Pubertät und eine blöde Kuh.«
»Dann hätten wir das ja auch besprochen«, sagte ich mit einem nervösen Lachen. »Bitte setzen Sie sich. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Einen Sommerspritzer vielleicht?«
»Da sagen wir nicht Nein!« Sven zog sein süßes Frauchen auf die Bank vor dem Kamin und streckte sich behaglich aus. »Gemütlich haben Sie es hier!«
»Ja, sehr«, sagte Lisa. Ihre wachen Augen hatten im Nu unser großzügiges Reich in sich aufgenommen: den riesigen ovalen Esstisch aus massivem Eichenholz, die dazu passende Sitzbank mit den ockerfarbenen Bezügen, die Pflanzenpracht im Wintergarten, die vielen goldgerahmten Bilder von toskanischen Landschaften, die ebenfalls goldgerahmten großen Spiegel, die den ganzen Essbereich noch viel größer und heller wirken ließen. Ein lichtdurchfluteter Raum, von dem noch viele hell gebeizte Holztüren zu anderen Zimmern abgingen. Genauer gesagt zu einer Arbeitsgalerie, einer Bibliothek, einem Wohn- und Musikzimmer, einer Küche, einem Haushaltsraum und zu zwei Bädern. Außerdem führte eine Treppe nach oben ins Mädchen reich, wo sie jeweils ein eigenes Zimmer und ein gemeinsa mes Bad hatten. Dort lagen auch unser Schlafzimmer und unser Traumbad. Es besaß eine Glasdecke, und wenn Volker und ich nachts gemeinsam in der riesigen Sprudelwanne unseren Cham pagner tranken, konnten wir quasi nach den Sternen greifen. Besonders bei Vollmond war das so ziemlich das Atemberaubendste, was man sich nur als Ehepaar vorstellen kann – außer natürlich gemeinsam lauwarmen Abführtee trinken und die Teebeutel auswringen, bis kein Tropfen mehr herauskommt.
Eine andere helle Holztreppe führte nach unten zu den Räumen, in denen Volkers Söhne am Wochenende hausten. Dort befanden sich auch der große Fitnesskeller, der Tischtennisraum, der Partykeller, die Sauna und der direkte Zugang zu unserer Doppelgarage.
Ja, unser Haus im Sonnenblumenweg war ein Traum. Das hatte sich Volker mit seiner Arztpraxis auch hart erarbeitet. Es war sein zweiter Versuch, ein Familiennest zu schaffen, wie er manchmal seufzend sagte. Das erste Haus stand neben der Apotheke und gehörte nun Wiebke.
»Das ist ja eine Wahnsinnsvilla«, entfuhr es Lisa, die inzwischen ein großes Glas kühle Weißweinschorle in den Händen hielt. Ihre Augen leuchteten.
Ich hatte mich ganz schnell ins Bad verdrückt und ein bisschen Rouge, Puder und Lippenstift aufgelegt, während meine vernünftige große Tochter die Sommerspritzer zubereitet hatte.
»Los, Baby, wisch den Tisch ab«, herrschte sie Paulinchen an, die doch nur ihren frisch getauften Teddy Lisa begutachten lassen wollte. »Das sieht ja schlimm aus!«
»Passt schon«, beruhigte Sven sie. »Wir waren ja gar nicht angemeldet.«
»Wie schade, dass Sie meinen Mann gerade nicht antref fen«, sprudelte ich los, nachdem wir uns zugeprostet hatten. »Er bringt gerade seine Söhne zu seiner Exfrau zurück.«
»Die heißt Wiebke und ist blöd«, informierte Paulinchen die beiden.
Es war doch immer dasselbe mit Paulinchen. Kurz nachdem sie total nervte und peinlich war, sagte sie etwas total Süßes, und ich verliebte mich sofort wieder in mein Kind. Ich konnte sie nur gerührt an mich drücken.
»Das eilt ja nicht!« Lisa zog die Beine an und
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