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Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
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da.«
    Um halb sieben leuchtete der Himmel bernsteinfarben. Jamie stand in der Scheunentür, das Gesicht vom goldenen Licht erhellt. Das wäre sein letzter Blick auf die Welt, die alles andere als freundlich zu ihm gewesen war.
    Er sah sich um und spürte für all die einfachen Dinge um ihn herum, für all das Alltägliche eine Art heiliger Verehrung. Eine Verehrung, die er nur wegen der Gewissheit seines unmittelbar bevorstehenden Todes empfand.
    Er sah die halbhohe grüne Tür, das Gartentor, die pickenden Hennen, das gegen die Hauswand gelehnte Fahrrad, die ausrangierten Maschinenteile im Hof – und nie zuvor hatten all diese banalen Dinge solch eine Bedeutung für ihn gehabt, nie zuvor hatte es sich so »richtig« angefühlt.
    Ein gleichmäßiges Summen an seinem Ellenbogen veranlasste ihn hinunterzublicken. Eine dicke Hummel ließ sich gerade auf einer rosa Glyzinie nieder, die an der Scheunentür emporkletterte. Jamie sah zu, wie die Hummel sich an der Blume satttrank. Das wäre das letzte Insekt dieser Art, das er sehen würde. Er staunte über den pelzigen, pochenden Leib und die vibrierenden Flügel. Er hatte den Drang, das kleine gestreifte Wesen zu streicheln, wusste aber, dass er es damit nur verscheuchen würde. Der Anblick kleiner einsamer Kreaturen rührte ihn immer. Er fühlte sich ihnen nah und verwandt.
    Plötzlich flog die Hummel davon und Jamie nahm das als Zeichen.
    Wie der Nachtarbeiter, der zutiefst erschöpft in den Schlaf sinkt, ergab er sich dem übermächtigen Lockruf des ewigen Lebens.
    Er drehte sich um und ging in die Scheune hinein.
    Dort begann er mit den Vorbereitungen zu seinem letzten Akt. Er würde keine Fehler machen. Er würde sich mit den einzigen Menschen vereinen, die ihn geliebt hatten, Alice und Mick – und Lily natürlich. Ja, die kleine Lily. Seit er ihren Namen kannte, hatte er fast nur noch an sie gedacht. Der Wunsch, sie zu sehen, war mit jeder Stunde stärker geworden. Wäre sie immer noch ein Baby oder wäre sie schon erwachsen? Wuchsen Babys im Himmel? Er wusste es nicht. Aber das machte nichts, denn er würde es ja gleich herausfinden.
    Er war glücklich und erledigte die anstehenden Aufgaben mit großem Eifer.
    Das Seil für die Heuballen hing aufgerollt auf einem Nagel hinter der Tür. Mit dem Messer schnitt er zwei Meter davon ab, knotete eine Schlinge und steckte das andere Ende hindurch. Er kletterte auf einen Heuballen und sicherte das Seil an einem Dachbalken. Micks Balken, dem letzten, an dem er gearbeitet hatte. Das Scheunendach ächzte unter dem Gewicht, und als er durch die Löcher des Daches spähte, sah er einen Heiligenschein aus Ringeltauben, die dort oben einträchtig im Kreis flogen. Das musste ein Zeichen des Himmels sein. Die Engel riefen ihn zu sich.
    »Ich bin gleich oben bei euch«, rief er zum Himmel gewandt.
    Da hörte er ein leises Fiepen unter sich, und als er vom Heuballen kletterte, stand Shep mit hängendem Schwanz da und sah traurig von der Schlinge zum Gesicht seines Herrn. Für einen Moment wankte Jamies Entschluss – der bis dahin felsenfest gestanden hatte –, und er beugte sich hinab, um das Tier zu trösten.
    »Komm schon, Shep, das wird schon wieder. Paddy kümmert sich dann um dich.« Er kraulte das Fell seines Hundes, durchquerte die Scheune und holte die Tüte mit den Süßigkeiten und den Whiskey hervor.
    Dann machte er es sich im Heu bequem und nutzte einen Heuballen als Tisch, auf dem er sein letztes Festmahl ausrichtete. Er nahm einen großen Schluck aus der Flasche, bevor er in die Cremeschnitte biss. Der Hund legte sich neben ihn, den Kopf auf seinem Schoß.
    Er musste nur noch eine allerletzte Pflicht erfüllen: einen Abschiedsbrief an Rose und Paddy schreiben, der zugleich sein Testament wäre.
    Er saß in einem Lichtkegel unter dem Loch im Dach, einen Stift in der Hand – wie ein Schreiber im Alten Testament – und klappte den Basildon-Bond-Block auf. Seinen letzten Brief würde er auf dem Block schreiben, den er für Lydia gekauft hatte.
    Heuschuppen
Duntybutt
Farmhaus
Sept. 1974
    Liebe Rose, lieber Paddy,
    ich gehe jetzt fort und komme nicht mehr wieder. Vielleicht ist das was ich tue eine Sünde aber ich glaube es nicht denn ich bin zufrieden und freue mich darauf mit Mick und Alice zusammen zu sein und mit meiner kleinen Schwester.
    Ich will mich bei euch für alle Hilfen bedanken die ihr mir in den letzten Jahren gegeben habt allem anderen voran nachdem Mick gestorben ist, weil das für mich sehr schlimm

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