Dragons Schwur
Eins
Oklahoma, Gegenwart
Z orn und Verwirrung regten sich in Dragon Lankford. Wollte Neferet sich tatsächlich so bald nach dem Tod des Jungen und dem verheerenden Besuch ihrer Göttin verabschieden?
»Neferet, was wird aus der Leiche des Jungvampyrs? Sollten wir nicht weiter Wache halten?« Dragon Lankford konnte seine Stimme nur mit Mühe beherrschen, als er die Hohepriesterin ansprach.
Neferet schaute ihn aus wunderschönen Smaragdaugen an und lächelte milde. »Es ist richtig von dir, mich daran zu erinnern, Schwertmeister. Diejenigen unter euch, die Jack mit lila Kerzen geehrt haben, werfen sie auf den Scheiterhaufen, wenn sie gehen. Die Söhne des Erebos wachen während der restlichen Nacht über der Leiche des armen Jungvampyrs.«
»Wie du wünschst, Priesterin.« Dragon verbeugte sich tief vor ihr und fragte sich, weshalb seine Haut so kribbelte – fast so, als wäre er mit Schmutz bedeckt. Plötzlich verspürte er das unerklärliche Verlangen, sehr heiß zu baden.
Es liegt an Neferet
, meldete sich sein Gewissen mit sanfter Stimme.
Mit ihr stimmt etwas nicht, seit Kalona sich aus der Erde befreit hat. Das hast du gespürt …
Dragon schüttelte den Kopf und biss die Zähne zusammen. Nebensächliche Ereignisse hatten nichts zu bedeuten. Gefühle waren nicht länger wichtig. Was zählte, war die Pflicht – und vor allem die Vergeltung.
Konzentriere dich! Du musst an deine Aufgabe denken!
, befahl er sich selbst und nickte einigen Kriegern zu. »Treibt die Menge auseinander!«
Neferet sprach noch kurz mit Lenobia, bevor sie den Platz in der Mitte des Schulgeländes verließ und zu den Unterkünften der Lehrer ging. Dragon würdigte sie kaum eines Blickes. Seine ganze Aufmerksamkeit galt wieder dem brennenden Scheiterhaufen und dem flammenden Leichnam des Jungen.
»Die Menge hat sich zerstreut, Schwertmeister. Wie viele von uns sollen mit dir am Scheiterhaufen wachen?«, erkundigte sich Christophe, einer seiner engsten Vertrauten.
Dragon zögerte mit der Antwort. Er versuchte, seine innere Mitte zu finden, bemerkte aber, dass die Jungvampyre und Lehrer, die sich unschlüssig um den hell lodernden Scheiterhaufen drängten, erregt und aufgebracht waren.
Die Pflicht. Wenn alles andere nicht hilft, denk an die Pflicht!
»Zwei Wachen sollen die Lehrer in ihre Wohnungen bringen. Die übrigen gehen mit den Jungvampyren. Sorgt dafür, dass alle in ihre Zimmer zurückkehren. Ihr bleibt in der Nähe der Schlafsäle, bis diese furchtbare Nacht zu Ende ist.« Dragons Stimme klang rau vor unterdrücktem Gefühl. »Die Schüler müssen die schützende Gegenwart der Söhne des Erebos spüren, damit sie sich sicherfühlen. Irgendeine Gewissheit müssen sie haben.«
»Aber der Scheiterhaufen des Kindes –«
»Ich bleibe bei Jack.« Dragons Tonfall duldete keinen Widerspruch. »Ich werde an seiner Seite bleiben, bis sich das rote Glühen seiner Asche in Rost verwandelt. Tu deine Pflicht, Christophe; das House of Night braucht dich. Ich kümmere mich um die Traurigkeit, die zurückbleibt.«
Christophe verneigte sich. Dann begann er, mit kalter, nüchterner Stimme die entsprechenden Befehle zu erteilen.
Nur Sekunden schienen vergangen, bis Dragon bemerkte, dass er allein war. Er hörte das Geräusch des Scheiterhaufens – das täuschend besänftigende Knacken und Knistern des Feuers. Ansonsten erfüllten nur Nacht und unendliche Leere sein Herz.
Der Schwertmeister starrte in die Flammen, als könnte er darin ein Mittel entdecken, das seinen Schmerz linderte. Das Feuer flackerte in Bernstein und Gold, in Rostbraun und Rot und erinnerte Dragon an ein kostbares Schmuckstück – einzigartig, erlesen –, das an einem samtroten Band von der Farbe frischen Blutes hing …
Wie von selbst glitt seine Hand in die Tasche. Seine Finger schlossen sich um die ovale Scheibe darin. Sie war flach und glatt. Er spürte noch die Umrisse des Rotkehl-Hüttensängers, der einmal so klar und wunderschön in die Oberfläche graviert gewesen war. Das goldene Schmuckstück schmiegte sich in seine Hand. Er umfasste es schützend, bevor er die Hand mit dem Medaillon langsam hervorzog. Dragon fädelte das Samtband durch die Finger und rieb mit dem Daumen in einer vertrauten, geistesabwesenden Bewegung darüber. Er atmete tief aus, was mehr wie ein Schluchzen als wie ein Seufzer klang, öffnete die Handfläche und schaute darauf.
Das Licht von Jacks Scheiterhaufen huschte über die goldene Oberfläche des Medaillons und fing sich
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