Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der übersehene Mann: Roman

Der übersehene Mann: Roman

Titel: Der übersehene Mann: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina McKenna
Vom Netzwerk:
wieder vollständig erholt und diese Nachricht heiterte sie auf. Für den Moment war die düstere Prognose der Oberschwester vergessen.
    »Ach, was ich dich fragen wollte«, sagte Daphne. »Hast du etwas von Mr McCloone gehört?«
    »Ach du meine Güte! Den hatte ich ja total vergessen!«
    »Das ist ja verständlich. Leider hattest du wichtigere Dinge, um die du dich kümmern musstest.«
    Lydia stand auf. »Sein Brief liegt irgendwo in der Küche. Ich hole ihn.«
    Sie überflog ihn schon beim Hereinkommen.
    »Oje! Es ist schon übermorgen!« Sie reichte Lydia den Brief. »Was soll ich nur machen?«
    »Na, hingehen, natürlich.«
    »Nein, das kommt gar nicht infrage. Es wäre meiner Mutter gegenüber nicht richtig, so wie es ihr geht.«
    Sie ließ sich ins Sofa sinken und dachte daran, wie sorglos sie gewesen war, als sie Frank Xavier McPrunty getroffen – oder eben nicht getroffen – hatte, und wie schnell sich seitdem alles verändert hatte, so schnell und dramatisch wie ein Pantomimenbühnenbild.
    Daphne, die die Gedanken ihrer Freundin zu lesen schien, goss ihr noch ein Glas Sherry ein, obwohl Lydia protestierte.
    »Ach komm schon. Da ist doch fast kein Alkohol drin.« Sie wandte sich wieder Mr McCloones Brief zu.
    Farmhaus
Duntybutt
Tailorstown
    Liebe Miss Devine,
    ich freue mich, Ihnen sagen zu können, dass ich Sie am Donnerstag, den 14. August um halb vier sehr gerne kennenlernen möchte.
    Wahrscheinlich sollte ich Ihnen mitteilen, wie ich aussehe, denn es wäre ja schrecklich, wenn wir uns nach all dieser Zeit verpassen würden.
    Ich bin etwa einen Meter einundsiebzig groß und von schlanker Gestalt, und wahrscheinlich sehe ich so alt aus, wie ich bin, denn über so etwas würde ich nicht lügen, denn die Lüge könnte man mir ja gleich am Gesicht ablesen, also hätte sie gar keinen Sinn.
    Ich trage einen torfbraunen Anzug. Wenn ich vor Ihnen ankomme, setze ich mich an einen Tisch und warte dort auf Sie mit einem Radler vor mir, aber sollte ich mich aus irgendeinem Grund verspäten, trage ich eine zusammengerollte Ausgabe des Mid-Ulster Vindicator unter dem rechten Arm, so als Zeichen.
    Ich freue mich wirklich sehr darauf, Sie kennenzulernen, Miss Devine, und zähle jetzt schon die Tage, denn ich glaube wir haben viele Gemeinsamkeiten und werden uns unheimlich gut verstehen.
    Mit freundlichen Grüßen
James Kevin Barry Michael McCloone
    »Oje«, sagte Daphne, »du musst dich mit ihm treffen. Es wäre schrecklich, wenn du ihn versetzt.« Sie griff nach ihrem Sherryglas.
    »Aber Daphne, wie sieht das denn aus, wenn ich hinter Männern herlaufe, während es meiner Mutter so schlecht geht?«
    »Lydia, deine Mutter ist stabil. Und das Treffen wird nicht länger als eine halbe Stunde dauern. Danach kannst du sie ja immer noch im Krankenhaus besuchen. Und glaub mir: Niemand würde dich je bezichtigen, hinter Männern herzulaufen, das ist eine völlig falsche Sicht auf die Dinge.« Daphne schluckte den Rest Sherry herunter und setzte das Glas energisch ab.
    »Aber ich ...«
    »Nein, bitte lass mich ausreden. Der arme Mann sagt doch, dass er die Tage zählt, also kannst du dich wenigstens mit ihm treffen und ihm sagen, was mit deiner Mutter ist, und dass jetzt alles anders ist. Sag ihm, dass du eigentlich nur jemanden gesucht hast, der dich zur Hochzeit einer Freundin begleitet, und dass du wegen der Krankheit deiner Mutter jetzt gar nicht hingehen kannst.«
    »Aber ...«
    »Kein aber. Du schuldest Mr McCloone wenigstens eine Erklärung, und das wäre mehr, als du dem armen alten Frank Xavier McPrunty gegeben hast.« Daphne verzog das Gesicht zu einem gespielten Tadel, und Lydia musste gegen ihren Willen lächeln.
    »Wahrscheinlich hast du recht. Es hört sich jedenfalls so an.«
    Daphne grinste. »Natürlich habe ich recht. Und nun hol deinen Mantel. Ich lade dich zum Essen ein.« Sie hob die Hand. »Und ich dulde keinen Widerspruch.«
    »Ich kann nichts essen, Daphne.«
    »Aber, aber, natürlich kannst du etwas essen, und wenn du wirklich nichts willst, dann guckst du mir eben beim Essen zu.«
    Offensichtlich konnte sie hier nicht mehr anders herauskommen, als mitzugehen.

27
    Sechsundachtzig lag in der Dunkelheit auf dem rumpelnden Karren und verlor immer wieder das Bewusstsein. Er konnte die Sterne sehen und den Gestank des Strohs riechen, und wenn die Räder über den unebenen Pfad holperten, schossen ihm stechende Schmerzen durch den Körper.
    Er wünschte sich, wieder ohnmächtig zu werden, damit er die

Weitere Kostenlose Bücher