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Der Umfang der Hoelle

Der Umfang der Hoelle

Titel: Der Umfang der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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auch sicher in Frieden regeln. Der Mann mit dem Messer verdrehte bloß die Augen. Er schien ehrlich gelangweilt ob der Naivität der zwei Schürzenträger, ja, er faßte sich in einer durchaus schwermütigen Weise an den Kopf, wie jemand, der an einer kalten Welt zu zerbrechen droht. Gleich darauf lachte er schäbig. Ein gespucktes und gespeites Lachen. Seine Kumpels lachten mit. Woraufhin die beiden entzauberten Kellner kehrtmachten, der eine jedoch sich am Eingang des Restaurants nochmals umwandte, um kleinlaut das baldige Eintreffen der Polizei anzukündigen. Die Hooligans blieben ungerührt, als wüßten sie es besser.
    Wie die meisten anderen Passanten auch, war Reisiger in dem Moment erstarrt, als der Fausthieb die Frau mit großer Wucht umgeworfen hatte. Und wie die anderen auch, hatte ihn das Auftauchen der engelsgleichen Kellner erleichtert und deren Rückzug bestürzt. Darum vor allem bestürzt, da er nun wieder in den Sog einer Verpflichtung geriet, die darin bestand, etwas zu unternehmen. Umso mehr, als nun einer von den Kerlen an die zweite Frau herangetreten war, wobei seine Schrittfolge unheimlicherweise an eine Einladung zum Tanz erinnerte. Er lächelte wie über einen Witz, der allein in seinem Kopf steckte und unaussprechlich blieb. Dann schob er seine Hand unter den gefransten Anorak und packte die Brust der versteinert dastehenden Frau, tatsächlich so, als wolle er diese Brust melken. Es lag etwas erschreckend Hilfloses in seiner unmenschlichen Handlung. Dieser vielleicht zwanzigjährige Mensch wollte widerwärtig und brutal sein, aber er scheiterte und spürte das auch. Er registrierte das Unbeholfene seiner Brutalität. Er war ganz einfach nicht der große, böse Bub, der er sein wollte, sondern eine komische Figur. Es blieb ihm verwehrt, diese Frau dadurch zu erniedrigen, indem er so tat, als handle es sich bei ihr um eine Kuh, die man melken konnte. Vielmehr ließ sein Auftritt ihn selbst als eine Art Dorftrottel erscheinen, als jemanden, der zu blöde war, zwischen Kuh und Frau zu unterscheiden. Und tatsächlich: So groß die Furcht der Frau auch sein mochte, und sie mußte enorm sein, so betrachtete sie jetzt das Gesicht ihres Peinigers mit unverhohlener Respektlosigkeit. In ihrem Blick klang etwas an, das wohl heißen sollte: Mein Gott, du armes Schwein, hast wohl noch nie was anderes berührt als die Euter deiner Viecher. Dann mußte sie grinsen. Sie konnte nicht anders.
    Reisiger sah dieses unwillkürliche Grinsen. Intuitiv spürte er, daß es zu einer noch deutlicheren Eskalation führen würde, führen mußte. Hier waren Messer im Spiel, hier waren ein paar durchgeknallte Jungs im Spiel, die weiß Gott was für Zeug geschluckt hatten. Oder auch bloß über die Niederlage ihrer Mannschaft nicht hinwegkamen. Das Unglück der Welt war im Spiel. Und das alles vor dem Hintergrund einer miserablen Kunst am Bau, bestehend aus ein paar hohen Säulen.
    Jedenfalls spürte Reisiger die nahende Katastrophe. Wobei ihm unklar blieb, inwieweit nun sein Kugelschreiber von Bedeutung sein könnte. Höchstwahrscheinlich war auch nichts zu retten mittels eines noch so wunderbaren Schreibgerätes. Die Katastrophe, auf die Reisiger seit seiner Jugend wartete und in der sein Kugelschreiber eine Rolle spielen würde, war wohl eine andere. Dennoch entschloß er sich, hier und jetzt zu handeln. Nicht, daß er der Typ dafür war. Er war eigentlich der Typ, der sich aus solchen Dingen heraushielt und auf die Polizei zu warten pflegte. Ob die nun kam oder nicht. Doch die Verhältnisse hatten sich geändert. Keine halbe Stunde zuvor hatte er einen Lottoschein verbrannt, den Lottoschein. Er hatte ein Millionenvermögen in Brand gesetzt. Er hatte die soeben eroberte Zukunft fallenlassen. Er hatte seine Leidenschaft verraten. Also war es nur recht und billig, wenn er jetzt daranging, sich mit diesen vier oder … Reisiger zählte, ja, er zählte, wie viele Jungs es an der Zahl waren, als wollte er mit ihnen Ball spielen. Einer schien von einem anderen verdeckt. Reisiger trat einen Schritt zur Seite und konnte nun feststellen, daß es sich um insgesamt fünf handelte, drei davon so großgewachsen wie er selbst.
    Wie kräftig sie wirklich gebaut waren, war der wuchtigen Jacken wegen schwer zu sagen. Mitunter erwies sich manch martialische Erscheinung bar seines ledernen Harnischs als aufgeblähte Kröte. Allerdings besaß der Kerl mit dem Tauchermesser die platte Nase eines Boxers. Auch Reisiger hatte vor Jahren mit dem

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