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Der Umweg

Der Umweg

Titel: Der Umweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerbrand Bakker
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meistens das Schiebefenster ein kleines Stück. Wenn sie rauchte, blies sie den Zigarettenrauch in Richtung Spalt. In diesem Zimmer störten sie die Blätter des Kletterstrauchs, weshalb sie eines Tages die wacklige hölzerne Trittleiter aus dem Schweinestall holte und mit einem Messer die Zweige vor dem Fenster wegschnitt. Seitdem hatte sie freie Sicht auf die Eichen und die Felder, an manchen Tagen aufs Meer, und konnte ungestört darüber nachdenken, was so etwas wie »Arbeit« noch für sie bedeutete. Hinter ihr stand eine Chaiselongue, die sie mit einem moosgrünen Überwurf zu ihrer Chaiselongue gemacht hatte. Daneben ein niedriges Tischchen, sie hatte ein paar Bücher darauf gelegt, las aber keine Zeile. Auf dem Kaminsims stand genau in der Mitte das Porträt von Emily Dickinson in einem Rahmen, den sie bei Blokker gekauft hatte. Eine Reproduktion des umstrittenen, vor Jahren bei eBay aufgetauchten Fotos, der Kopie einer Daguerreotypie.
    Die hellbraunen Kühe standen manchmal an der kleinen Bruchsteinmauer, die das umliegende Land von ihrem Grundstück trennte, sie schienen genau zu wissen, an welchem Fenster sie saß und sie beobachtete. Mein Grundstück . Ich könnte etwas daraus machen, dachte sie, während sie eine Zigarette nach der anderen rauchte. Sie fragte sich, welchem Bauern die Kühe gehörten, wo sein Hof eigentlich lag. Dieses Hügelland voller Bäche und Flüßchen und Baumgruppen war viel zu kompliziert und unübersichtlich für sie. Manchmal legte sie die Hand auf den Gedichtband von Dickinson, strich über die Rosen auf dem Umschlag. Sie kaufte eine Rosenschere und eine Astsäge in einer Eisenwarenhandlung in Caernarfon.
6
    Sie nahm das Haus, wie es war. Ein paar Möbel, ein Kühlschrank und eine Gefriertruhe waren vorhanden. Sie kaufte Teppiche (in allen Zimmern lagen die gleichen breiten, kahlen Dielen) und Kissen. Küchenutensilien, Töpfe, Teller, einen Wasserkessel. Kerzen. Zwei Stehlampen. Der Holzofen im Wohnzimmer brannte den ganzen Tag. Ein mit Brennöl betriebener Herd heizte die Küche, typisch britisch. Das Öl kam aus einem Tank, der zwischen der Seitenwand des Hauses und dem Bach eingeklemmt war, hinter Bambus verborgen. Der riesige Herd diente auch als Durchlauferhitzer für das Wasser; am Tag ihres Einzugs hatte sie auf dem Küchentisch eine handgeschriebene Bedienungsanleitung gefunden, mit einem flachen Stein beschwert. Good luck! wünschte ihr der Verfasser. Zuerst hatte sie überlegt, wer den Zettel geschrieben haben könnte, aber bald interessierte es sie nicht mehr. Sie folgte genau der Anleitung, Schritt für Schritt, wunderte sich auch kaum, daß sie das Ding tatsächlich in Gang bekam, daß sie am Abend schon die große Wanne mit dampfendem Wasser vollaufen lassen konnte.
    Aber die Gänse. Über die wunderte sie sich doch ein bißchen. Hatte sie die Vögel mitgemietet? Und eines Morgens graste auf dem Stück Land an der Straße plötzlich eine große Herde schwarzer Schafe, die alle weiße Blessen und lange Schwänze mit weißer Spitze hatten. Auf ihrem Grund und Boden. Wem gehörten die Tiere?
7
    Sie entdeckte, daß der Weg, der zum Steinkreis führte – und von dort weiter, obwohl sie noch nie weiter gegangen war –, genau auf die scharfe Biegung ihrer Zufahrt traf. Ein kissing gate in einer Hecke aus gedrungenen Eichen war vollständig von Efeu überwuchert. Durch dieses Weidetor war offensichtlich schon seit Jahren niemand mehr gegangen. Auf der anderen Seite eine Wiese mit hohem braunen Gras. Irgendwo da mußte ein Haus stehen, vom Zufahrtsweg aus sah man in einiger Entfernung einen Hühnerstall, in dem Tag und Nacht ein schwaches Licht brannte. Sie schnitt mit ihrer neuen Rosenschere alle Efeuranken weg und sägte die dicken Stämme über dem Boden ab. Das Tor ließ sich noch bewegen. Im alten Schweinestall fand sie einen altertümlichen Öler, also schmierte sie nach dem Schneiden und Sägen die Scharniere. Erst dann fiel ihr auf, daß der Weg über ihr Grundstück verlief, bevor er, hinter einem zweiten kissing gate in der Bruchsteinmauer, durch die Weiden zu dem hölzernen Steg über den Bach führte. Ein public footpath auf Privatgelände, sie glaubte zu wissen, daß man als Landbesitzer kaum etwas dagegen tun konnte. Nach dem Schmieren ging sie durch das Tor auf den Weg, den Öler noch in der Hand, und bog nach rechts ab. Nach etwa zweihundert Metern fand sie bei einem stile einen Wegweiser mit dem gehenden Männchen, seine Beine waren von einer Flechte

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