Der Umweg
darf man nicht«, sagte der Polizist, der seine Aussage zu Protokoll nahm.
»Dann schneide ich ihm den Schwanz ab.«
»Das darf man erst recht nicht.« Der Polizist fragte ihn, wo seine Frau sich im Moment aufhalte.
»Ich weiß es nicht. Sie ist auf jeden Fall weggefahren, im Auto, und der kleine Anhänger steht auch nicht mehr in der Garage.«
Ob er jetzt also kein Auto mehr habe.
»Doch. Wir hatten zwei.«
Ob er versucht habe, Kontakt mit ihr aufzunehmen.
»Was für eine Frage – ja, natürlich! Ihr Handy ist ununterbrochen besetzt.«
Ob Dinge aus der Wohnung verschwunden seien.
»Ihre ganzen Kleider und ein kleiner Couchtisch, potthäßlich, wenn ich’s mir recht überlege, bloß gut, daß das blöde Ding weg ist. Eine Matratze, Bettdecken. Lampen! Und mehrere kleine Sachen, Bücher, ziemlich viel Bettwäsche, ein Foto von Emily Dickinson …«
»Von wem?«
»Das ist eine amerikanische Dichterin. Über die hat sie geschrieben, sie arbeitete an einer Dissertation. Reichlich spät, wenn man mich fragt, aber sie mußte offenbar noch etwas beweisen. Scheiße.«
Ob sie Kinder hätten.
Das war der einzige Moment, in dem der Mann den Blick senkte.
Wie ihre Beziehung sei.
»Was geht Sie das an? Warum sitze ich hier?«
Der Vernehmer erinnerte ihn daran, daß er in einem Universitätsgebäude Feuer gelegt hatte.
»Dann tun Sie einfach Ihre Arbeit, und schnüffeln Sie nicht in meinem Privatleben herum.«
Schließlich fragte der Polizist noch, ob er seine Frau als vermißt melden wolle.
Der Mann blickte auf. »Nein«, sagte er nach einer langen Denkpause. »Nein, lassen wir das.«
Ob er Kaffee möge.
Der Mann schaute den Polizisten an. »Ja«, antwortete er. Während der Beamte geduldig und freundlich abwartete, trank er den Kaffee. »Für sich allein«, sagte er.
»Was?« fragte der Polizist.
»Eine schmale Matratze hat sie mitgenommen. Für sich allein.«
13
Sie rechnete ständig mit einem Besucher. Die Gänse, die gehörten doch irgendwem, und die schwarzen Schafe an der Straße auch. Eines Tages würde jemand kommen. Ein verirrter Wanderer. Die Erwartung erfüllte ihre Tage mit Unruhe. Das Pochen in ihrem Fuß hörte bald auf, sie sah die Schwellung zurückgehen; wenn die Wunde nach der Sodabehandlung trocknete, strich sie mit dem Daumen minutenlang über die juckenden Zahnabdrücke, dabei hatte sie kurz nach dem Biß kaum hinzuschauen gewagt. Außer daß Alkohol und Antibiotika sich nicht gut vertrugen, glaubte sie auch zu wissen, daß Behandlungen bis zum vollständigen Abklingen der Beschwerden fortgesetzt werden sollten, deshalb schluckte sie das Verschriebene weiter. Der immer noch harte Oberarm machte ihr jetzt mehr Beschwerden als der Fuß. Der Regen hielt an, ein lauer Regen, wenn sie aus dem Haus ging, zog sie nicht einmal eine Jacke über. An einem Sonntag hörte sie mehrmals – von wo, war unmöglich zu bestimmen – ein leicht mißtönendes Pfeifen. Sie sah auf der Karte nach und stellte fest, daß es ganz in der Nähe eine Bahnlinie gab, die Welsh Highland Railway. Bei Caernarfon war eine altertümliche Lok als Symbol eingezeichnet. Es war wohl eine Strecke, auf der an den Wochenenden eine Dampfeisenbahn fuhr.
14
Ein paar Tage nachdem seine Kollegen ihn aus dem Teich geholt hatten, fing ihr Onkel an, einen Schrank zu bauen. Eigentlich eher eine Schrankwand. »Siehst du«, sagte ihre Mutter zu ihrem Vater, dem Bruder des Onkels. »Siehst du: So ist es richtig. Was Handfestes tun. Einfach was Handfestes tun.« Etliche Wochen hatte er sich damit beschäftigt, freie Wochen, seine Vorgesetzten im Hotel wollten ihn erst wiedersehen, wenn er »sich ein bißchen erholt« habe. Sägen, schmirgeln, bohren, lackieren, schrauben; auf einem Stuhl sitzen und über die nächsten Schritte nachdenken. Als er fertig war, kam der große Kater. »Der hätte es fertiggebracht, alles wieder auseinanderzunehmen«, hatte ihre Mutter gesagt. »Aber er hat es nicht getan.«
15
Die Rosenschere und die Astsäge hatte sie spontan gekauft, weil der Kletterstrauch an der Vorderfront des Hauses sie störte. Und das Stutzen des Efeus hatte ihr Spaß gemacht. Sie ging zur Haustür und schaute durch die große Scheibe auf die Wiese, ein Rechteck, eingeklemmt zwischen dem Bach und der niedrigen Steinmauer, hinter der manchmal die hellbraunen Kühe zusammenkamen. Am Bach standen wuchernde Sträucher und ein paar merkwürdig geformte Bäume. Die Wiese grenzte nah am Haus unordentlich an einen breiten Kiesweg. Nein, es
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