Der Umweg
begann zu husten.
Meine Gänse , dachte sie auf dem Weg zur Apotheke. Jetzt sind es schon meine Gänse. Hüpfen war ihr zu anstrengend, die Socke konnte sie zu Hause vor den Ofen hängen und einfach wegwerfen, sobald sie ein Loch hatte. Ein junges Paar kam ihr entgegen. Die beiden hatten sich um die Taille gefaßt, sie redeten und lachten laut. Im Vorbeigehen schaute das Mädchen sie an, wie nur Mädchen es können, wenn sie glauben, daß die Welt ihnen gehört, einzig und allein wegen des Glücks, das sie in diesem Moment empfinden: mit einem Blick, der energisch zum Mitlachen und Mitfühlen aufforderte. Fast obszön, dieses unbefleckte Glück, das innerhalb kürzester Zeit ins Gegenteil umschlagen würde. Teile meine Freude! strahlte das Mädel aus. Sie erwiderte den Blick gleichgültig, ignorierte den Jungen. Schon daß es solche Mädchen gab, die halb so alt waren wie sie selbst, war schwer zu ertragen. Mehr als verärgert öffnete sie kurz darauf die Tür der Apotheke. Keine Schlange vor der Theke.
Außer dem verschriebenen Antibiotikum kaufte sie einen umfangreichen Verbandskasten, fünf Schachteln Paracetamol, Handcreme, eine Tube Zahnpasta und ein paar Röllchen Hustenpastillen. »Urlaub?« fragte die Apothekerin.
»Nein«, antwortete sie.
»Deutsche?«
»Nein.«
»Fuß verletzt?«
»Ja.«
Die Apothekerin wickelte den Verkauf jetzt schweigend ab.
Der Regen hielt an, sie fuhr in mäßigem Tempo nach Hause.
11
Am Abend konnte sie den einen Arm kaum bewegen, der Fuß pochte immer noch. Sie kochte Kartoffeln und briet sie anschließend mit ein paar Zwiebeln und fünf Knoblauchzehen. Zwei Gläser Wein zum Essen. Sie hätte gern mehr getrunken, aber sie erinnerte sich, einmal gehört zu haben, daß Alkohol und Antibiotika sich nicht gut vertragen. Der Arzt hatte sie nicht darauf hingewiesen. Kein Wunder, der rauchte sich tot in seinem kleinen Sprechzimmer mit Kreuz an der Wand. Nach dem Essen ging sie wie eine alte Frau die Treppe hinauf, die Hand kraftlos auf dem Geländer, das Bein zog sie nach. Im Arbeitszimmer streckte sie sich auf der Chaiselongue aus, hier fiel noch so etwas wie Licht durch die beiden Fenster. Blumen, dachte sie. Dieses Zimmer braucht Blumen. Ein Telefon wäre auch praktisch. Sie war von einem Dachs in den Fuß gebissen worden, sie hätte sich auch beide Beine brechen können. Der Hausarzt hatte nichts von einem steifen Arm gesagt. Ein Radio. Es war so still, daß sie jeden Regenschleier am Fenster vorbeiziehen hörte, in den Pausen dazwischen das Scheuern des Bambus auf dem Öltank und der Seitenwand des Hauses.
Sie rauchte eine Zigarette.
Sie lag. Die heartless bitch .
Es war der 18. November.
12
Der Mann hatte sämtliche Schwarzen Bretter in der Abteilung Englische Sprach- und Literaturwissenschaft abgesucht. In einem Winkel zwischen den Türen zu zwei Dozentenzimmern hatte er noch einen Zettel gefunden, halb versteckt hinter einer Liste mit Prüfungsergebnissen. Der Text war genau der gleiche wie auf dem Stück Papier, das er schon in der Hand hatte. Our »respected« Lecturer Translation Studies screws around. She is in no way like her beloved Emily Dickinson: she is a heartless Bitch . Solche Zettel mußten an vielen Schwarzen Brettern gehangen haben. Er ging zu ihrem Büro, es war sehr ruhig auf den langen, schmalen Fluren des Universitätsgebäudes. An der Tür war unter dem Namen eines Kollegen, von dem er schon einmal gehört hatte, und dem Namen seiner Frau ein neues Plastikschildchen angebracht. Ein Männername und die Ergänzung Dozent für Übersetzungswissenschaft . Er zögerte, konnte sich nicht vorstellen, daß ihre Sachen schon weggeschafft worden waren. Der Computer, Bücher, Unterlagen, die mußten doch noch da sein. Soweit er wußte, war ihre Tätigkeit als Dozentin beendet, aber vielleicht durfte sie hier weiter an ihrer Dissertation arbeiten. Er ging hinein, es war niemand im Zimmer. Ein paar Minuten später betrat er wieder den Flur und begann zu rufen. Der Brand wurde von zwei Männern gelöscht, die den Druckschlauch eines Wandhydranten ausrollten, und blieb auf diesen einen Raum begrenzt. Als nach zehn Minuten die Feuerwehr eintraf, blieb ihr nur noch wenig zu tun. Der Mann wartete ruhig, bis die Polizei kam.
Auf dem Tisch in einem Vernehmungszimmer der nächsten Polizeiwache lag der Zettel. Er hatte die Brandstiftung schon gestanden, den Zettel hatte er mitten in der Vernehmung aus der Tasche geholt. »Ich breche ihm das Genick«, sagte er.
»Das
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