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Der unausweichliche Tag - Roman

Der unausweichliche Tag - Roman

Titel: Der unausweichliche Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Männer. Sie erinnerte Raoul an seinen Auftrag, alles zu beseitigen, alles wegzuschaffen, noch den letzten Stein oder Dachziegel, jeden Fußbodenbalken, jede alte Rohrleitung, jeden Rest abgeblätterten Putz.
    »Was ich sehen möchte, wenn ihr fertig seid«, sagte sie, »ist eine kahle Fläche. Nichts soll da mehr herumliegen oder aus dem Erdboden vorgucken.«
    Raoul sagte seinen Männern, sie sollten schon zum Mas hinaufgehen, er selbst blieb jedoch noch an Audruns Küchentisch sitzen, die Hände um die Kaffeeschale gelegt. Seine braunen Augen blickten nicht auf Audrun, sondern in die Schale.
    »Audrun«, murmelte er. »Ich wollte es dir schon längst sagen. Ich hätte es schon beim letzten Mal, als ich hier war, sagen sollen. Mir tut all das, was geschehen ist, sehr leid. Es tut uns allen leid. Allen in La Callune. Wir wollen dir gern helfen, so gut wir können.«
    Audrun sah ihn an, diesen immer noch gut aussehenden Mann, den sie so leicht hätte lieben können, wenn ihr Leben anders verlaufen wäre, und sie empfand eine große Zärtlichkeit für ihn, die, das wusste sie, niemals vergehen würde.
    »Ich danke dir, Raoul«, sagte sie. »Mir tut auch Jeanne leid. Ausgerechnet sie musste Zeugin von etwas derart Schrecklichem werden … Das hat sich doch niemand vorstellen können. Und dann das kleine Mädchen aus Paris … beim Picknicken …«
    Er schüttelte den Kopf, wie um zu sagen, das sei es eigentlich nicht, worüber er gern reden wolle. Er schob die Schale auf der Wachstuchdecke hin und her. Er mochte Audrun immer noch nicht ins Gesicht blicken, aber sie spürte, dass es ihm um etwas anderes ging.
    »Ich weiß …«, setzte er an, »ich weiß … als wir jung waren, wurde dir das Leben sehr schwer gemacht durch … durch gewisse Dinge, die …«
    Audrun sprang jäh auf und schob ihren Stuhl dabei so heftig weg, dass er mit einem Knall nach hinten kippte.
    »Ein Leben ist ein Leben«, erklärte sie mit Nachdruck. »Ich beschäftige mich nie mit der Vergangenheit. Niemals! Und deshalb ist es auch besser für mich, wenn das Mas Lunel weg ist. Und sieh nur, wie spät es ist, Raoul. Solltest du nicht besser anfangen? Sie haben für heute Nachmittag Regen angesagt.«
    Er erhob sich. Er holte seine Handschuhe aus der Tascheseines Arbeitskittels und zog sie langsam an. Er nickte und ging hinaus.
     
    Der Bau hatte Jahre gedauert, der Abriss dauerte Tage.
    Getreu den Anweisungen, ließen Raoul und seine Männer nichts auf dem Erdboden zurück. Nach Beendigung ihrer Arbeit war dort, wo das Mas Lunel gestanden hatte, nur noch eine rechteckige Mulde in der Erde.
    Audrun umrundete diese Mulde immer wieder, eine Wunde aus Ton und Kalkstein, auf der die Spuren der Abrissbagger wie fantasievolle Nähte aussahen. Das flache Rechteck wirkte viel kleiner, als das Haus gewesen war. Und das Ganze hatte etwas beschämend Sinnloses, als wäre der herrliche Berghang oberhalb von La Callune damals ohne jeden Grund umgegraben, eingeebnet und terrassiert worden. Und dieser Gedanke zerrte an Audruns Seele, zerrte an den Bildern der geliebten Bernadette, wie sie an ihrem Spülbecken oder ihrem Bügeltisch stand und Ausschau hielt.
    Doch als Audrun dann eine Amsel in einer Steineiche singen hörte, wusste sie, dass der Frühling kam und dass die Jahreszeiten ihre eigenen, freundlicheren Veränderungen mit sich brachten. In den Furchen, die die Bulldozer hinterlassen hatten, würden sich, ebenso wie im nackten Lehm und Kalkstein, winzige Partikel von Materie sammeln, herbeigetragen von Regen und Wind: Fasern von toten Blättern, Spuren von verkohltem Besenginster. Und in der Luft würden, mit Ankunft des Frühlings, fast unsichtbare Staubflöckchen und winzigste Sandkörner schweben, und sie würden langsam zur Erde trudeln und zwischen Steine und Bodensatz sinken und ein Bett für die Sporen von Flechten und Moos bilden. Und schon mit dem ersten Frühling würde die Wunde von Mas Lunel zu heilen beginnen.
    Darin irrte sie sich nicht.
    Später dann, in den Herbststürmen, mit den Regengüssen,die unterhalb von Mont Aigoual niedergingen, würden Beeren und Samenkörner auf die Flechten fallen und Wurzel schlagen. Buchsbaum und Farnkraut würden dort sprießen, und mit der Zeit, in gar nicht so langer Zeit … würden Wildbirnen, Weißdorn, Kiefern und Buchen ihre Äste ausstrecken …
    Darin, in alledem, irrte sie sich nicht.
    Sie kannte ihr geliebtes Land. Was da im Laufe der Jahreszeiten um sie herum heranwachsen würde, war

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