Der unmoegliche Mensch
weit draußen im seichten Wasser. Zuerst erschienen uns die Größenschätzungen stark übertrieben. Es war gerade Ebbe, und der größte Teil des Riesen lag frei, aber er erschien uns nur ein wenig größer als ein auf dem Sand liegender Hai. Er lag auf dem Rücken, die Arme an den Seiten, so als schliefe er auf der nassen Sandfläche. Die Spiegelung seiner bleichen Haut verblaßte, als das Wasser weiter zurückging. In dem hellen Sonnenlicht leuchtete sein Körper wie das weiße Gefieder eines Seevogels.
Verwirrt von diesem Anblick und unbefriedigt von den nüchternen Erklärungen aus der Menge, stiegen meine Freunde und ich von den Dünen hinab auf den Geröllstrand. Keiner schien Lust zu haben, sich dem Riesen zu nähern, aber eine halbe Stunde später schritten zwei Fischer in hohen Gummistiefeln hinaus. Als die kleinen Gestalten sich dem liegenden Körper näherten, brach unter den Zuschauern plötzlich ein heftiges Gemurmel aus. Die beiden Männer sahen neben dem Riesen aus wie Zwerge. Obzwar seine Fersen zum Teil im Sand begraben waren, ragten die Füße wenigstens zweimal so hoch auf wie die Fischer, und uns wurde klar, daß dieser ertrunkene Leviathan die Ausmaße eines sehr großen Pottwals hatte.
Drei Fischerboote waren auf dem Schauplatz erschienen und mit eingezogenem Schwert einen halben Kilometer vor der Küste liegengeblieben, von wo aus die Besatzungen die Vorgänge beobachteten. Ihre Zurückhaltung hielt die Zuschauer am Strand davon ab, hinauszuwaten. Ungeduldig stiegen alle von den Dünen herab und warteten auf dem Kiesstrand auf die Gelegenheit für einen Blick aus der Nähe. Rund um den Körper war der Sand weggespült worden. Es hatte sich eine Mulde gebildet, als wäre der Riese vom Himmel gefallen. Die beiden Fischer standen zwischen den Füßen, die riesigen Plinthen glichen, und winkten uns zu wie Touristen zwischen den Säulen eines vom Wasser umspülten Tempels am Nil. Für einen Augenblick fürchtete ich, der Riese könnte nur eingeschlafen sein und plötzlich aufwachen und die Hacken zusammenschlagen, aber seine glasigen Augen starrten himmelwärts und nahmen seine winzigen Ebenbilder zwischen seinen Füßen nicht wahr.
Die Fischer begannen nun einen Rundgang um die Leiche. Sie schlenderten an den langen weißen Flanken der Beine entlang, und nach einer Untersuchung der Finger an der mit dem Rücken nach unten liegenden Hand verschwanden sie zwischen Arm und Brustkorb. Dann tauchten sie wieder auf und betrachteten den Kopf. Sie hielten ihre Hände schützend über die Augen, als sie zu dem griechischen Profil hinaufstarrten. Die niedrige Stirn, die gerade Nase mit der hohen Wurzel und die geschwungenen Lippen erinnerten mich an eine römische Kopie nach Praxiteles, und die elegant geschwungenen Nasenflügel verstärkten noch die Ähnlichkeit mit einer Statue.
Plötzlich ging ein Aufschrei durch die Menge, und hundert Arme zeigten hinaus. Mit Schrecken sah ich, daß einer der Fischer auf die Brust des Riesen geklettert war und nun darauf herumlief und Zeichen zum Strand machte. Von der überraschten Menge kam ein Triumphgeheul, das in einer wahren Kieslawine ertrank, als alle vorwärts stürmten, hinaus auf die Sandfläche.
Als wir uns der liegenden Gestalt näherten, die in einer Pfütze von der Größe eines Feldes lag, verstummte unser erregtes Geplapper angesichts der ungeheuren Körpermaße dieses toten Kolosses. Er lag ein wenig schräg zur Küste hingestreckt, seine Beine etwas näher zum Strand, und diese Verkürzung hatte uns über seine wahre Länge getäuscht. Trotz der beiden Fischer, die auf seinem Bauch standen, bildete die Menge einen weiten Kreis. Gruppen von drei oder vier Leuten näherten sich vorsichtig den Händen und Füßen.
Meine Begleiter und ich gingen auf der Seeseite um den Riesen herum. Hüften und Brustkorb ragten neben uns auf wie der Rumpf eines gestrandeten Schiffes. Seine perlgraue Haut, die durch die Einwirkung des Salzwasser aufgequollen war, verbarg die enormen Muskeln und Sehnen. Wir gingen unter dem linken Knie durch, das leicht angezogen war. Ketten von feuchtem Seetang hingen an den Seiten. Leicht um die Körpermitte geschlungen, das Minimum an Schicklichkeit wahrend, war ein Schal aus schwerem, lose gewebtem Material, das vom Wasser zu einem hellen Gelb gebleicht worden war. Ein starker Salzlaugengeruch entströmte der in der Sonne dampfenden Hülle, vermischt mit dem süßlichen, aber durchdringenden Geruch von der Haut des
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