Der unmoegliche Mensch
über seinem verletzten Fuß bildete, und sagte dann ärgerlich: »Schon gut. Schon gut.«
»Doktor?« Der Chefboy, ein zweiunddreißigjähriger Indianer namens Mechippe, rückte den Bügel zurecht und beobachtete Gifford dabei mit seinen klaren Augen in einem Gesicht wie aus verwittertem Teakholz.
»Ich sagte, mach, daß du wegkommst!« Schwach auf einen Ellbogen gestützt, beobachtete Gifford, wie das letzte Dämmerlicht über den gewundenen Armen des Deltas verblaßte und das Bild der Schlangen mit hinwegnahm. Während mit dem fortschreitenden Sommer die Hitze stieg, kamen sie jeden Abend in größerer Zahl, als ob sie wüßten, daß seine Fieberperioden immer länger wurden.
»Sir, ich bringen Decken?«
»Nein, zum Donnerwetter!« Giffords magere Schultern zitterten in der Abendluft, aber er kümmerte sich nicht darum. Er blickte an seinem leblosen Körper hinunter, der fast wie ein Leichnam unter der Decke lag, und betrachtete ihn mit viel weniger innerer Anteilnahme als die unbekannten Indianer, die er in dem improvisierten WHO-Feldlazarett in Taxcol sterben sah. Die Indianer besaßen wenigstens eine ruhige Gelassenheit, ein Gefühl der Einheit von Fleisch und Geist, das durch das Versagen eines der beiden Partner höchstens noch verstärkt wurde. Es war dieser beispielhafte Fatalismus, den Gifford gern erreicht hätte – selbst der armseligste Eingeborene, der sich mit dem unwiderruflichen Ablauf der Natur identifizierte, hatte einen längeren Zeitraum überbrückt als der älteste Europäer oder Amerikaner mit seinem verrückten Zeitbewußtsein, der sein Leben mit sogenannten wichtigen Erlebnissen vollstopfte wie ein Vielfraß. Im Gegensatz dazu empfand Gifford, daß er nur seinen eigenen Leib weggeworfen hatte, sich von ihm getrennt hatte, wie man sich von einem nicht mehr nützlichen Partner trennt. Ein so deutlicher Mangel an Treue deprimierte ihn.
Er tippte auf seine knochigen Hüften. »Es ist nicht das hier, Mechippe, was uns an die Sterblichkeit bindet, sondern unser verfluchtes Ego.« Er lächelte den Boy verschlagen an. »Louise würde das gefallen, meinst du nicht?«
Der Boy beobachtete, wie hinter dem Messezelt Abfall angezündet wurde. Er sah die Gestalt im Liegestuhl scharf an, seine wilden Augen blitzten wie Pfeilspitzen in dem öligen Licht des Feuers. »Sir? Du wollen…?«
»Vergiß das!« sagte Gifford. »Bring zwei Whisky mit Soda! Und noch mehr Stühle. Wo ist Mrs. Gifford?«
Er blickte zu Mechippe hoch, als der nicht antwortete. Kurz trafen sich ihre Blicke in einem Augenblick absoluter Klarheit. Vor fünfzehn Jahren, als Gifford seine erste archäologische Expedition ins Deltagebiet unternommen hatte, war Mechippe einer der jüngsten Begleiter gewesen. Jetzt war er über das mittlere Alter für einen Indianer bald hinaus, die Kerben in seinen Wangen waren in den kreuz und quer laufenden tiefen Furchen verschwunden, und er war vertraut mit dem Zeltleben der Besucher.
»Misses Gifford – ruhen«, sagte er rätselvoll. In einem Versuch, Tempo und Richtung ihres Dialogs zu wechseln, fügte er hinzu: »Ich sage Mister Lowry, dann bringen Whisky und heiße Tuch, Doktor.«
»Okay, Mechippe.« Ironisch lächelnd lag er dort und hörte nach den Fußtritten, die sich weich im Sand entfernten. Die erstorbenen Geräusche des Lagers erwachten wieder um ihn herum – das kühlende Rauschen des Wassers im Duschraum, das leise Geplauder der Indianer, das Winseln eines Wüstenhundes, der an die Abfallhaufen wollte – und er sank hinunter in den dünnen, müden Körper, der vor ihm hingestreckt lag, wie eine Knochensammlung in einem Reisesack. Die absterbenden Sinne für Berührung und Druck in den Gliedern belebten sich wieder.
In dem Mondlicht schimmerte der weiße Strand am Delta wie phosphoreszierende Kreide, und die Schlangen kamen auf die Hänge heraufgekrochen wie die Anbeter einer Mitternachtssonne.
Eine halbe Stunde später tranken sie in der tintenblauen Luft zusammen ihren Whisky. Durch Mechippes Massage erfrischt, saß Charles Gifford aufrecht im Liegestuhl und schwenkte sein Glas. Der Whisky hatte für eine Weile seinen Kopf klar gemacht; gewöhnlich sprach er nicht gern über die Schlangen, wenn seine Frau dabei war, ganz zu schweigen von Lowry, aber das deutliche Anwachsen ihrer Zahl erschien ihm wichtig genug, es zu erwähnen. Außerdem war da das leicht boshafte Vergnügen – jetzt nicht mehr so belustigend wie zuerst –, Louise schaudern zu sehen,
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