Der unmoegliche Mensch
bedeutungsvoll, wenn sie nicht innere Erlebnisse verdeutlichen würde. Die einzig realen Landschaften sind die inneren, oder die äußeren Projektionen von ihnen, so wie dieses Delta.« Er reichte seiner Frau sein leeres Glas. »Stimmt’s, Louise? Oder siehst du die Schlangen vielleicht mit Freudschen Augen?«
Dieser kleine Stich, mit dem kalten Humor beigebracht, der für Gifford so typisch geworden war, beendete ihre Unterhaltung. Unruhig sah Lowry auf seine Uhr, er könnte es kaum erwarten, von Gifford und seinen kläglichen Ungezogenheiten wegzukommen. Gifford, ein kaltes Grinsen auf den Lippen, wartete darauf, daß Lowry ihn ansah; paradoxerweise wurde seine Abneigung gegen seinen Assistenten eher dadurch bestärkt, daß er es ihm nicht mit gleicher Münze heimzahlte, als durch die noch immer unklaren, aber sich allmählich kristallisierenden Beziehungen zwischen Lowry und Louise. Lowrys sorgsam gewahrte Neutralität und sein gutes Benehmen erschienen Gifford als ein Versuch, eine Welt aufrechtzuerhalten, der Gifford den Rücken gekehrt hatte, die Welt, in der es keine Schlangen am Strand gab und in der die Geschehnisse sich auf einer einzigen Zeitebene vollzogen wie die Projektionen eines dreidimensionalen Objektes in einer defekten Camera obscura.
Lowrys Höflichkeit war natürlich auch ein Versuch, sich selbst und Louise gegen Giffords scharfe Zunge abzuschirmen. So wie Hamlet, der seinen Wahnsinn dazu benutzte, jeden nach Belieben zu beleidigen oder ins Kreuzverhör zu nehmen, nutzte Gifford oft die Zeitspanne der Halbklarheit und Erschöpfung nach dem Abklingen seines Fiebers, um seine spitzen Bemerkungen anzubringen. Während er aus dem Dämmerzustand auftauchte und die vor ihm stehenden Gestalten seiner Frau und seines Assistenten noch von den rotierenden Mandalas umgeben waren, die er in seinen Träumen sah, ließ er seinem gequälten Humor die Zügel schießen. Daß er auf diese Art seine Frau und Lowry auf ihrem Weg in eine unvermeidliche Klimax vorantrieb, spornte Gifford nur noch mehr an.
Sein langer Abschied von Louise, der sich schon über so viele Jahre hinzog, schien nun endlich möglich, auch wenn es nur ein Teil des größeren Abschiednehmens sein sollte, das Gifford bevorstand. Die fünfzehn Jahre ihres Ehelebens waren nicht viel mehr gewesen als ein einziger enttäuschter Abschied, eine Suche nach einem Ende, das die Charakterstärke der beiden bisher verhindert hatte.
Während er Louises sonnenverbranntes, immer noch hübsches Profil und ihr nicht mehr ganz blondes, über die eckigen Schultern zurückgestrichenes Haar betrachtete, erkannte Gifford, daß seine Abneigung gegen sie keineswegs persönlich gemeint, sondern nur Teil seines tiefempfundenen Widerwillens gegen die ganze Menschheit war. Und sogar dieser tief eingegrabene Menschenhaß war nicht mehr als eine Reflexion seiner unaustilgbaren Selbstverachtung. Wenn es wenige Menschen gab, die er je gern gemocht hatte, so gab es ebenso auch wenige Augenblicke, in denen er sich selbst gemocht hatte. Sein ganzes Leben als Archäologe, von seiner frühen Jugend an, als er die ersten fossilen Ammoniten in einem Kreideaufschluß gesammelt hatte, war ein klarer Versuch, in die Vergangenheit zurückzukehren und die Quellen seiner Selbstverachtung aufzudecken.
»Glaubst du, sie werden ein Flugzeug schicken?« fragte Louise am nächsten Morgen nach dem Frühstück. »Ich hörte vorhin ein Geräusch.«
»Ich glaube es kaum«, antwortete Lowry. Er sah zum leeren Himmel hinauf. »Wir haben nicht um ein Flugzeug gebeten. Der Flugplatz in Taxcol ist nicht in Betrieb. Im Sommer trocknet der Hafen aus, und alle ziehen weiter die Küste hinauf.«
»Es gibt doch sicher einen Arzt dort? Es werden doch gewiß nicht alle weggegangen sein.«
»Ja, es gibt einen Arzt. Die Hafenbehörde hat einen ständigen Arzt.«
»Einen versoffenen Trottel«, warf Gifford ein. »Ich lasse mich von ihm nicht anfassen mit seinen blatternarbigen Händen. Schlag dir den Doktor aus dem Kopf, Louise! Auch wenn einer bereit wäre, hierher zu kommen, wie sollte er es deiner Meinung nach anstellen?«
»Aber Charles…«
Gifford zeigte gereizt auf die schimmernden Schlickbänke. »Das ganze Delta trocknet aus wie eine schmutzige Badewanne; es wird sich niemand eine handfeste Malaria einhandeln wollen, bloß um mir den Knöchel zu schienen. Der Bursche, den Mechippe losschickte, treibt sich wahrscheinlich sowieso noch hier irgendwo herum.«
»Aber
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