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Der unmoegliche Mensch

Der unmoegliche Mensch

Titel: Der unmoegliche Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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fünfhundert Meter entfernt und verhüllte die Konturen der großen Dünungswellen. Das Wasser war vollkommen undurchsichtig und sah aus wie warmes Öl. Dann und wann lief eine kleine Welle träge auf dem Sand aus und löste sich in fettige Blasen auf, vermischt mit leeren Zigarettenschachteln und anderem Abfall. Wie es so den Strand anstupste, glich das Meer einem riesigen Seeungeheuer, das aus der Tiefe heraufgekommen war und blind nach dem Sand tastete.
     »Mildred, ich gehe für einen Augenblick hinunter zum Wasser.« Pelham stand auf. »Da ist etwas Merkwürdiges…« Er brach ab und zeigte zum Strand auf der anderen Seite der Terrasse. »Sieh mal! Dort steht auch eine Gruppe. Was, zum Donnerwetter…«
     Wieder sahen alle hin, während sich diese zweite Gruppe von Beobachtern an der Wasserkante bildete, fünfundsiebzig Meter von der Terrasse entfernt. Insgesamt liefen wohl etwa zweihundert Personen dort zusammen und starrten hinaus aufs Meer. Pelham umklammerte mit beiden Händen das Geländer. Er mußte an sich halten, nicht auch hinauszulaufen. Nur das Gewühl am Strand hielt ihn ab.
     Diesmal war das Interesse der Menge nach einer kleinen Weile verflogen, und die allgemeine Geräuschkulisse setzte wieder ein.
     »Der Himmel mag wissen, was sie dort tun.« Mildred kehrte der Gruppe den Rücken. »Dort drüben sind noch mehr. Sie scheinen auf etwas zu warten.«
     Tatsächlich bildeten sich jetzt ein halbes Dutzend ähnlicher Gruppen am Wasserrand, fast genau in Hundertmeterabständen. Pelham spähte nach beiden Seiten am Rand der Bucht entlang nach Anzeichen für das Kommen eines Motorbootes. Er sah auf die Uhr. Es war genau halb vier. »Sie können auf nichts warten«, sagte er und versuchte seine Nervosität zu unterdrücken. Seine Füße unter dem Tisch trommelten unaufhörlich und suchten Halt auf dem sandigen Zementboden. »Alles, was erwartet wird, ist der Satellit, und den kann doch keiner sehen. Es muß irgend etwas im Wasser sein.« Bei der Erwähnung des Satelliten fiel ihm Sherrington wieder ein. »Mildred, spürst du nicht…«
     Bevor er zu Ende sprechen konnte, sprang der Mann hinter ihm hastig auf und versuchte das Geländer zu erreichen. Dabei stieß er Pelham die scharfe Kante seines Stuhls in den Rücken. Während Pelham den Mann stützen wollte, war er für einen Augenblick in einen widerlichen Geruch von altem Schweiß und schalem Bier eingehüllt. Er sah den glasigen Blick in den Augen des Mannes, sein rauhes, unrasiertes Gesicht und den offenen Mund, der wie ein Rüssel mit einer Art unwiderstehlichen Verlangens auf das Meer hinaus zeigte.
     »Der Satellit!« Pelham machte sich frei und sah zum Himmel hinauf. Ein blasses, leidenschaftsloses Blau, frei von Flugzeugen oder Vögeln – obwohl sie dreißig Kilometer landeinwärts am Morgen Möwen gesehen hatten, als stehe ein Sturm bevor. Während ihm das grelle Licht in die Augen stach, begannen Pünktchen von retinalem Licht am Himmel durcheinanderzuschwirren. Aber eins von ihnen, das anscheinend vom westlichen Horizont kam, bewegte sich stetig über den Rand seines Gesichtsfeldes und kam schwach glimmend auf ihn zu.
     Rundherum hörte man Leute aufstehen und Stühle scharren. Einige Flaschen kippten von den Tischen und zerschellten auf dem Beton.
     »Mildred!«
     Unter ihnen, so weit der Blick reichte, standen Leute langsam auf. Das gedämpfte Gemurmel am Strand war von dringlicheren, schärferen Geräuschen abgelöst worden, die von einem Ende der Bucht zum anderen widerhallten. Der ganze Strand schien in kringelnde, quirlende Bewegung geraten zu sein, die einzigen bewegungslosen Gestalten waren die Leute, die am Wasser standen. Diese bildeten jetzt eine lückenlose Mauer entlang der Küstenlinie, so daß man die See nicht mehr sah. Immer mehr Leute gesellten sich zu ihnen, an einigen Stellen standen sie schon zehn Mann tief hintereinander.
     Auf der Terrasse standen jetzt alle. Die Menschenmassen, die schon unten auf dem Strand waren, wurden von Neuankömmlingen von der Promenade vorwärts geschoben; die Gruppe, die unter ihrem Tisch gelegen hatte, war schon um zwanzig Meter weiter seewärts gedrängt worden.
     »Mildred, kannst du Sherrington irgendwo sehen?« Während er sich auf ihrer Armbanduhr vergewisserte, daß es genau
    15.30 Uhr war, schüttelte er ihre Schulter, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Mildred sah ihn verständnislos an. »Mildred! Wir müssen weg von hier!« Heiser schrie er: »Sherrington ist

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