Der unmoegliche Mensch
neueren Arbeit über die Wahrnehmung von infraroter Strahlung die Möglichkeit andeutete, daß ein Teil des reflektierten infraroten Sonnenlichts von der Netzhaut der Menschen unterschwellig wahrgenommen werden könnte.
Während Pelham über die Möglichkeiten nachdachte, die sich damit einem kommerziellen oder politischen Demagogen boten, und dabei dem Radio zuhörte, das unter ihm im Sand stand, kam ein langer, weißer Arm und schaltete es aus. Die Besitzerin des Armes, ein molliges, weißhäutiges Mädchen mit einem sanften Madonnengesicht, ihre runden Wangen von schwarzen Ringellöckchen eingerahmt, machte sich frei von ihren Begleitern und wälzte sich auf den Rücken, und für einen Moment tauschte sie mit Pelham Blicke aus. Er nahm an, daß sie absichtlich das Radio abgeschaltet hatte, damit er den Bericht nicht hören könnte. Aber dann wurde ihm klar, daß das Mädchen ihm zugehört hatte und hoffte, er würde seinen Monolog fortsetzen. Geschmeichelt studierte Pelham das runde ernste Gesicht des Mädchens. Die reife, aber kindliche Figur lag fast so nahe vor ihm hingestreckt und so nackt, wie wenn er mit ihr im Bett läge. Der jugendliche, offene und tolerante Gesichtsausdruck änderte sich kaum, und Pelham wandte sich ab, weil er nichts aufkommen lassen wollte. Es wurde ihm schmerzlich bewußt, wie gründlich er sich mit Mildred abgefunden hatte und welch undurchdringliche Isolierung gegen jedes neue, echte Erlebnis in seinem Leben daraus entstanden war. Seit zehn Jahren senkten die tausend Rücksichten und Kompromisse, denen er sich jeden Tag unterwarf, um das Dasein erträglich zu machen, ihre betäubenden Sekrete in sein Blut, und was von seiner ursprünglichen Persönlichkeit mit all ihren Möglichkeiten noch übrig war, war konserviert wie ein naturwissenschaftliches Präparat in einem Glas. Früher hätte er sich selbst dafür verachtet, daß er seine Lage so passiv hinnahm. Jetzt war er jedoch zu keiner ehrlichen Selbstbeurteilung mehr fähig, denn es gab keine gültige Norm, nach der er sich einstufen könnte; eine Würdelosigkeit, noch viel elender als die der vulgären, dummen Herde um ihn herum am Strand.
»Da ist irgendwas im Wasser.« Mildred zeigte in Richtung der Küstenlinie. »Dort drüben.«
Pelhams Blick folgte ihrem erhobenen Arm. In etwa zweihundert Meter Entfernung hatte sich an der Wasserkante eine kleine Gruppe versammelt. Die trägen Wellen brachen sich an den Füßen der Leute, während sie irgendeinen Vorgang im seichten Wasser beobachteten. Viele von den Leuten hielten Zeitungen zum Schutz über den Kopf, und die älteren Frauen hielten ihre Röcke zwischen den Knien fest.
»Ich kann nichts sehen.« Pelham rieb sich das Kinn, abgelenkt durch einen bärtigen Mann über ihm am Rand der Promenade, mit einem Gesicht, das nicht Sherrington gehörte, ihm aber erstaunlich ähnlich sah. »Es scheint aber keine Gefahr vorzuliegen. Vielleicht ist irgendein seltener Fisch angetrieben worden.«
Auf der Terrasse und unten am Strand warteten alle darauf, daß etwas passierte; alle Hälse reckten sich erwartungsvoll. Als die Radios zurückgedreht wurden, damit man vielleicht irgendwelche Laute von der fernen Gruppe hören könnte, zog eine Welle des Schweigens über den Strand wie eine riesige dunkle Wolke.
Das fast völlige Fehlen von Geräuschen und Bewegungen nach den vielen Stunden voll schwelender Unrast schien sonderbar und unheimlich und legte über die Tausende von ausschauenden Gestalten eine dichte Atmosphäre der Unsicherheit.
Die Gruppe am Rand des Wassers blieb stehen, wo sie war, auch die kleinen Kinder starrten unbewegt auf das, was die Aufmerksamkeit ihrer Eltern zu erregen schien. Zum erstenmal war ein schmaler Streifen des Strandes zu sehen, bestreut mit Radios und Strandartikeln, die halb im Sand begraben waren. Allmählich belegten die Neuankömmlinge, die von der Promenade herunterdrängten, die leer gewordenen Plätze. Pelham erschienen sie wie eine Familie von bußfertigen Pilgern, die über eine enorme Entfernung angereist waren und nun an ihrem heiligen Wasser standen, geduldig auf das Wunder wartend, das es durch seine Kraft bewirken sollte.
»Was geht dort bloß vor?« fragte Pelham, als auch nach mehreren Minuten keine Bewegung bei der Gruppe am Wasser zu erkennen war. Er bemerkte, daß sie eher eine Kette entlang der Strandlinie bildeten als einen Halbkreis. »Sie beobachten überhaupt nichts.«
Der Dunst über dem Wasser war jetzt nur
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