Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
Vom Netzwerk:
älteste der Welt, wie es doch heißt.
    Vasone ist in diesem Punkt allerdings anderer Meinung. Er hat nichts gegen die Prostitution (Als »ein notwendiges Gutes« definiert er sie), aber dass sie so uranfänglich sein soll, wie die Prostituierten behaupten, das reizt ihn zum Widerspruch.
    »Das älteste Gewerbe der Welt? Papperlapapp«, sagt er. »In keiner primitiven Gesellschaft an den Anfängen der Zivilisation hat es Prostituierte gegeben, während wir schon da waren, als Zauberer, Schamanen, Stammesälteste. Unser Gewerbe ist das älteste der Welt, wir Politiker haben dieses Primat. Die Huren sind, mit allem Respekt gesagt, erst später gekommen, in Bezug auf das Alter schlagen wir sie überlegen, um mindestens ein oder zwei Jahrtausende.«
    Ich hätte mich umdrehen und sie da stehenlassen können, sie und ihren aggressiven Albanerstolz, aber dieses zarte nackte ringgeschmückte Bäuchlein (einen kleineren Ring hatte sie auch in der Nase) rührte mich irgendwie, es verdiente eine letzte Anstrengung multiethnischer Annäherung. Ich nahm zart den Ring zwischen die Finger und fragte mit einem Verhandlungslächeln: »Darfara ich anprobierenara?«
    Und ich versuchte, ihn mir auf den kleinen Finger zu stecken. Sie nahm das nicht gut auf und signalisierte mir das deutlich mittels eines Schlags auf die Hand. Doch einen Augenblick später nahm sie es plötzlich sehr gut auf, schlang mir die Arme um den Hals, legte die Lippen an mein Ohr und flüsterte: »Keine Dummheiten jetzt, Slucca, das ist nicht der richtige Zeitpunkt.«
    Verdammtara nochmalara, sie hatte mich entlarvt, ich stand entblößt hinter der feindlichen Linie. Aber wer war die Entlarverin? Was für ein Spiel spielte sie?
    »Aber wer bist du?« fragte ich, und schon im Fragen erkannte ich sie meinerseits. Ebenfalls verkleidet und eingeschleust, konnte sie doch niemand anders sein als die rasende Fernsehreporterin, Lauretta die Hyäne!
    »Verzeihara«, stammelte ich. »Da habara ich mich gewaltig vertanara.«
    Sie zuckte die Achseln. »Bist du auch wegen der ...«
    »Ja, Migliarini hat mich eingeschleust, er sagt, in diesem Zentrum der vierten Aufnahme ...«
    Ich ließ den Blick durch den gedrängt vollen und hüpfenden Raum schweifen.
    »Aber, Slucca, ich bitte dich, die hier haben doch nichts damit zu tun, die dienen doch nur als Deckung.«
    »Sind das alles echte Illegale?«
    »Durch die Bank. Die Sache findet da ... statt ...«
    Sie hatte das Naschen mit dem Ringlein zur Decke hochgereckt. »Und da oben, was ist da?«
    »Ein Pärchenklub zum Partnertausch. Deswegen habe ich mir, kaum bist du hier hereingekommen, gesagt: das ist mein Mann.«
    »Als Türke?«
    »Als Slucca, Slucca. Ich habe dich in der ersten Sekunde erkannt. Los, komm, gehen wir mal da ein bisschen gucken.« Ich zögertara, versuchtara Zeit zu gewinnen.
    »Aber ich habe Durst, ich würde mir gern noch einen Becher Tee holen.«
    Sie fasste mich am Handgelenk und führte mich (süßes eisernes Händchen) durch die quirlige, schwitzende Menge. Konnten wir uns denn einfach so, auf Französisch (oder hier vielleicht auf sudanesisch, auf tunesisch) empfehlen, ohne uns von jemandem zu verabschieden? versuchte ich ihr durch Ziehen an ihrer Hand zu verstehen zu geben. Klar doch, antwortete sie mit einem ausdrucksvollen Kratzer. Wir standen vor einer kleinen Eisentür, sie drückte dagegen, sie stieß sie auf.
    Wir befanden uns in einer halbfinsteren verlassenen Vorhalle, deren Wände mit dunklem Holzpaneel verkleidet waren. Mir gefiel dieser leichte Zugang ganz ohne Kontrollen, ganz ohne Leibwächter gar nicht. Hatten wir uns in eine Falle locken lassen?
    »Komm, Slucca, es besteht keine Gefahr«, sagte sie mit der Kühnheit Jeanne D'Arcs, eine Minute bevor die Burgunder sie gefangen nahmen.
    Ich hätte gern auf ein anderes Programm geschaltet, die Angst des Eingeschleusten schnürte mir die Kehle zu. Mit meinen ausgelatschten Schuhen rutschte ich auf dem Marmorboden, ich lehnte mich an ihre Schulter, wir kamen zu einer mit Schnitzereien verzierten Tür.
    »Hier muss es sein«, sagte sie mit der Hand auf dem Türknauf. »Komm, wir sind ein Pärchen, niemand wird auf uns achten.«
    Ich zögerte, stemmte mich zurück, schob die Schuhe etwas nach vorn, aber die Füße blieben, wo sie waren. Ach, jetzt umschalten können, auf irgendein anderes Programm ...
    »Aber wenn du mich gleich erkannt hast ...«
    »Was hat das damit zu tun? Ich habe das professionelle Auge, hier drinnen wird man dich nicht mal

Weitere Kostenlose Bücher