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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
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eben schlecht informiert, hier sind keine ...«
    Sie flatterte in ihrem Cape zur dritten Tür, verschwand hinter der Portiere. Und kam nicht mehr heraus.
    Als ich die beiden Draperien auseinanderzog, sah ich ihre Augen verzweifelt über einer großen Hand hervor linsen, die nicht ihre war und ihr den Mund zuhielt. Und hinter ihr, mit dem Rücken zur Wand, einen Mann, der sie an sich drückte und mit der Rechten mit äußerster Deutlichkeit einen Pistolenlauf auf mich richtete.
    »Runter«, befahl er im Flüsterton einer Hinrichtung aus nächster Nähe. Blitzschnell gingen mir alle offensiven und defensiven Manöver aller Actionfilme und -fernsehspiele durch den Kopf, aber ich versuchte kein einziges. Ein Mann der Nicht-Action, Slucca, ein Ritter voller Furcht und Tadel. Ich fiel auf die Knie und mied so den Blick der Gefangenen, die hinter der dicken Hand »Mmmmm! Mmmmm!« flehte (Übersetzung: »Lass dir etwas einfallen, Slucca, sei doch nicht so unjapanisch!«). Aber ich war doch ein türkischer Händler mittleren Alters, ruiniert, illegal eingewandert, machtlos.
    »Entschuldigara«, stammelte ich, »habara mich im Stockwerk geirrtara, suchara Toilette ...«
    »Ah!« knurrte der Mann, »da ist er, der Türke.«
    »Mmmm!... Mmmm ...!« machte Lauretta, sich windend.
    »Und du, halt still!«
    Da biss sie ihn in die Hand, er ließ sie einen Moment los, und Lauretta stieß ihm mit aller Wucht ihre grüne Irokesenbürste in die linke Schulter. »Was machst du denn, du Dackel, siehst du nicht, dass wir es sind?«
    Der Mann musterte sie einen Augenblick lang. »Signorina!«
    Mir hob er mit der Pistole den Schnauzbart an, dann die Mütze, dass sie herunterflog.
    »Onorevole!«
    Vor uns, in einer fein schwarzgelb gestreiften Bedienstetenjacke (aber mit einem eleganten Seidentuch um den Hals), stand der Bandit der fünfunddreißig Stunden, Domenico Esposito, genannt Dede der Dialogator.
    »Dede«, schalt die junge Frau ihn aus, »du hast mir mein Make-up ruiniert!«
    »Und Sie, entschuldigen Sie, haben mir meine Schulter ruiniert«, klagte er.
    Und schon massierte er sie sich mit seiner unverwechselbaren Geste.
    »Dede, aber was machst du denn hier drin und erschreckst uns mit dieser Pistole?«
    Er entschuldigte sich einmal über das andere, offensichtlich war ihm gar nicht wohl. Das sei keine richtige Pistole, nur eine Spielzeugwaffe mit einer roten Kappe, da habe er sie ja, jetzt stecke er sie wieder drauf. Aber sollte er denn nicht im Zuchthaus sein, sei er vielleicht ausgebrochen? Nein, es sei alles in Ordnung, er habe jetzt nächtlichen Freigang, er verlasse die Strafanstalt so gegen 19.00, 19.30 Uhr abends und kehre pünktlich um acht Uhr morgens zurück. Eine Vergünstigung, die ihm wegen »Bewundernswerter Führung«, der höchsten Stufe im Vollzug, gewährt worden sei. Jemand habe ein gutes Wort für ihn eingelegt und habe ihm kürzlich auch diese Arbeit verschafft. Was für eine Arbeit? Dede zögerte, spähte den Korridor hinauf und hinunter, ließ uns in einen Raum eintreten, der vermutlich einmal ein Schlafzimmer gewesen war, mit Grotesken im pompejanischen Stil an der fleckigen Decke, einem Feldbett in einer Ecke, einem Bettvorleger. Es gab auch ein paar Regale aus durchbrochenem Metall mit Keksschachteln darauf, Stapeln von CD-Roms, CDs, Kassetten, einem Radio, ein paar Büchern; und auf einem an der Wand stehenden Tisch zwei Computer, einen großen und einen kleinen, und eine Rose in einer hohen, schmalen Vase.
    »Ich dialogiere ein wenig im Internet, ich habe einen Spezialkurs gemacht«, erklärte Dede. »Ich habe auch Spiele, um mir die Zeit zu vertreiben.«
    Auf einem der Monitore war in der Tat eine lärmende Schlacht zwischen antiken Kriegern im Gange, die sich mit Lanzen und Pfeilen beschossen oder mit Schwertern durchbohrten. Dede drückte schnell eine Taste, enthauptete einen halb hinter einer Palme versteckten Feind und stellte ab.
    »Diese Moabiter sind wirklich gefährlich«, seufzte er. »Die springen von allen Seiten heraus.«
    »Und du, auf welcher Seite bist du?«
    »Diesmal bin ich Hettiter. Aber es gibt auch Assyrer gegen Ägypter, Babylonier gegen Chaldäer, wir haben die ganze Educational-Serie Die fernen Ursprünge des Balkankriegs, ich habe große Auswahl.«
    Er lächelte, bot uns Kaffee an, er hatte eine schöne Espressomaschine, Typ Cafebar, auf einem Regal stehen. Nichts überzeugte mich an dieser Situation, und ein Blick, den Lauretta mir zuwarf, machte mir zur Genüge deutlich, dass

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