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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
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hinter den Stühlen, andere ziehen sich an die Wände zurück, stoßen zusammen, fallen übereinander, puffen und treten in einem unschicklichen Getümmel. Nur ein Mann bleibt unbewegt an seinem Platz. Es ist der alte Senator Portis, der einzige, der kaltes Blut bewahrt. Ich sehe ihn sich langsam erheben, er fixiert mich. Der erinnert sich an alles, der hat mich sicher erkannt. Und in der Tat tappelt er nun unerbittlich mit Hilfe seines Spazierstocks auf mich zu, er steht vor mir, Auge in Auge mit mir, und ich höre seinen triumphierenden heiseren Schrei aufsteigen: »Das Spiel ist aus, Oberst von Slükken, und Sie haben verloren!«
    Weniger unsichtbar könnte ich an diesem Punkt nicht mehr sein. Seine vergilbte Hand packt mich beim Schnauz und zieht mit aller Kraft eines rüstigen dritten Alters. Auch ich schreie, vor Schmerz.
    »Der ist doch echt!«
    Der Entlarver verdreht mir weiter den Schnauz, und auch ich verdrehe und winde mich, krümme mich weitmöglichst zusammen.
    »Dieser Gentleman«, verkündet sarkastisch der Senator, »hatte 1944 das Kommando der SS in Positano, ich erinnere mich gut an ihn, damals hat er ein Monokel getragen.«
    Die Malvolio hat kapiert, sie stürzt sich, einen Stuhl schwingend, auf mich. »Ah, Slucca, du bist's also!«
    »Slucca, die Tasche!« ruft die Fernsehreporterin mir zu.
    Ich greife in meine Tasche, finde Dedes Handy.
    »Die andere! Die andere!«
    In der anderen ist die Spielzeugpistole.
    »Nimm die Kappe ab, schnell!«
    Ich entreiße dem zurücktaumelnden Senator den Spazierstock, befreie meinen Schnauz, nehme die rote Kappe ab, fuchtle mit der Waffe herum. Aber darauf wird doch niemand hereinfallen.
    »Drück den Abzug, Slucca, mach jetzt nicht auf Pistolero in Identitätskrise!«
    Aber wenn es doch bloß ein Spielzeug war! Ein Klick, so scharfer auch klingen mochte, konnte doch gewiss nicht die Kräfteverhältnisse verändern. Ich drückte ab, und es kam kein Klick heraus, sondern ein ohrenbetäubender Knall. Die getroffene Glühbirne explodierte, und im Dunkel, im Geschrei, unter den entsetzten Stößen und Püffen, in der aufbrandenden allgemeinen Panik spürte ich dieses Händchen, das mich fortzog, komm weg von hier, Slucca, schlüpf zu mir unter mein Cape, ich schütze dich, ich mache dich unsichtbar. Ich schlüpfte darunter, schleuste mich ein, und nie ist eine Flucht bebender und - ach! - kürzer gewesen, ein süßes verklammertes Herunterstürzen über das treulose Wendeltreppchen, eng aneinandergeschmiegt in gemeinsamer Angst. Ich habe meine Schuhe verloren, aber was machte das schon? Wir kamen im Korridor an, liefen am Liebesnest vorüber (Dede, der wieder vernünftig gewordene Hettiter, musste bereits seine vorbereiteten Fluchtmaßnahmen getroffen haben) und dann Hals über Kopf die Treppe hinab bis zur Haustür auf den Kies in den Garten hinaus, eine Tortur für meine nackten Füße.
    »Aber die Waffe war ja echt!«
    »Hast du das denn nicht kapiert, Slucca? Das mit der roten Kappe ist doch ein alter Trick. Komm, wir nehmen mein Moped.«
    Sie suchte zwischen den spärlichen Büschen, fand es nicht, fluchte, ihre etwas zerdrückte grüne Bürste zitterte vor Wut.
    »Aber ich habe es doch hier abgestellt, ich hatte es sogar abgeschlossen!«
    Man hatte es ihr gestohlen, vielleicht brauste eine Eigentliche Macht (der Amtsdiener?) in diesem Augenblick darauf nach Rom, und dazu noch ohne Helm. Wir machten uns zu Fuß auf den Weg die Straße entlang, und nach ungefähr fünfzig Metern fing ein geparktes Auto an, uns mit den Scheinwerfern Signale zu geben.
    »Was will der denn?«
    Wenige Schritte, und die albanische Nutte beugte sich zornig zum Wagenfenster hinunter.
    »Was suchst du, Blödmann, geh doch ins B ...«
    Der Freier war Migliarini, der sofort ausstieg.
    »Slucca!« rief er lächelnd aus. »Du bist es!«
    Er umarmte mich mit ungeheuchelter Begeisterung, er war gerührt.
    »Du hast geglaubt, ihn mit den Füßen voran rauskommen zu sehen, was?« schleuderte ihm die Albanerin ins Gesicht. »Du hast ihn doch an deiner Stelle zur Schlachtbank geschickt, du hundsgemeiner ...«
    Er machte kurzen Prozess, Erklärungen würde er später abgeben, an einem Tisch, absolute Priorität habe jetzt die Frage, wie ich nach Hause zu bringen sei, in Anbetracht des Zustands, in dem ich mich befände. Ich hätte doch blutende Füße, zittere am ganzen Leib, Schnauz und Haare stünden mir zu Berge, und Augen, als hätte man mich aus dem Tiber gefischt.
    Wir stiegen in seinen

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