Der unsichtbare Zweite
Milchkaffee auf der Leiche; oder Der leblose Körper Onorevole Sluccas von schwerem Tablett zerschmettert aufgefunden. Selbstmord oder Verbrechen?
Dann endet die Spirale an einem kleinen Treppenabsatz mit einer müden Aspidistrapflanze, das Mädchen kramt in seinem Beutel, holt eine kleine Fernsehkamera heraus, bedeutet mir, an das Türchen zu klopfen, ich bedeute ihr, dass ich die Hände voll habe, und so übernimmt sie es, zu klopfen, die Tür zu öffnen, mich hineinzustoßen.
Ein letztes qualvolles Zögern: Könnte es nicht aus reinster Gutmütigkeit sein, dass ich mich bis hierher habe locken lassen? Bist du nicht vielleicht einfach ein Nonstop-Dackel, Slucca?
Es ist keine Zeit für eine genauere Analyse, ich muss den letzten Schritt tun und stehe in einem quadratischen Sälchen mit schwarzen Deckenbalken und einem Tisch in der Mitte, über dem eine nackte Glühbirne von wenig Volt hängt.
»Ah, gut, da ist ja endlich der Kaffee«, sagt eine heisere Stimme.
Es ist die Stimme des alten Senators Portis, unser aller historisches Gedächtnis. Aber niemand achtet auf den schnauzbärtigen Kellner, der nun seine Runde antritt, die zehn Köpfe sind über verstreute Blätter, bunte Heftmappen, Notizblöcke, Notebooks gebeugt. Ich bewege mich im Halbdunkel hinter dem Rücken der Eigentlichen Mächte, im heftigen multiethnischen Getuschel, im dichten Rauch erbittertster Verhandlung. Ich stelle ein Tässchen und Tütchen vor einem gewaltigen blonden Mann mit einem Nacken wie ein Sequoienstamm ab, der auf Englisch etwas zu einem hageren bebrillten Herrn sagt, während ein dritter Mann mit einer Zigarre zwischen den Zähnen auf Deutsch mit einem debattiert, der sich dabei seine Fliege geraderückt. Ich kenne keinen, ich verstehe kein Wort, ich sehe auch einen Japaner (ist es der eine, der keinen Kaffee will?) und einen hohen Offizier in einer ausländischen Uniform. Und dann komme ich zum Stuhl einer Frau, und was für einer Frau, Slucca!
»Für mich mit Milch«, sagt sie von der Seite zu mir, wobei sie ein kleines bisschen den Kopf wendet.
Es ist Dedes Liebhaberin, die M des Bademantels, die Auftraggeberin meiner Ermordung. Es ist Onorevole Minima Malvolio, die nun zerstreut in ihrem Tässchen rührt, während sie weiter zu einem bekannten Bankier spricht, einer Allereigentlichsten Macht.
»Denn sehen Sie, Amtsdiener (so will der Mann angeredet werden, er hasst Titel, Ehrenbezeichnungen, jede Form von Exhibition), im Rahmen der großen strukturalen Reformen, die unser Land dringend braucht, ist die Privatisierung der Waffe der Karabinieri nicht nur eine Priorität, die ich, ich sage das noch einmal mit absoluter Deutlichkeit ...«
Mein Tablett scheppert laut, ich gehe zum nächsten Gast weiter, unter einer Anstrengung, für die ich alle meine Nerven, alle meine Muskeln, alle Haare meines zitternden Schnauzes zusammenreißen muss. Sie wollen die Karabinieri privatisieren!!
»Es ist ein äußerst solider Komplex«, räumt der Amtsdiener mit nasaler Stimme ein, »das steht außer Zweifel. Aber ich frage mich, ob eine OPA der Öffentlichen Verkehrsgesellschaft von Mexiko City im Zuge der Fusion mit dem Belgischen Tulpenkonsortium nicht doch ...«
Ich setze meine Runde fort, aber nicht mehr lange.
»He, du, ich hatte doch mit Milch gesagt!«
Es ist Minima, die sich jetzt zurückbeugt, um mich erst ärgerlich, dann verdutzt, dann höchst misstrauisch anzusehen. »Aber wer bist denn du, du bist nicht Dede, wo ist Dede?«
Ich bringe nur ein höchst unglaubwürdiges Gestammel heraus. »Dede krank gewordenara, ich musstara im letzten Moment für ihn einspringenara.«
»Aber das ist ja ein Türke!« kreischt sie los. »Du bist ein Türke, ein falscher Türke!«
Sie springt auf, läuft auf mich zu, und das Tablett fällt mir krachend aus den Händen.
»Du bist Migliarini! Und zu diesem Zeitpunkt müsstest du doch ...«
Sie ist verstört und wütend, aber einen Meter vor mir wird ihr klar, dass ich nicht Migliarini bin, dass ich ihm überhaupt nicht gleiche.
»Aber dann bist du ein Eingeschleuster!« brüllt sie. »Es ist ein Eingeschleuster unter uns!«
Mit einem Knall geht die Tür auf, und auf der Schwelle erscheint in ihrem schwarzen Cape die rasende Fernsehreporterin mit ihrer bereits surrenden Kamera in der Hand. Der Amtsdiener wirft sich unter den Tisch.
»Runter, alle in Deckung!« drängt er nasal.
Aber nicht immer ist eine Eigentliche Macht gerade deswegen auch agil. Einige verstecken sich ungeschickt
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