Der Untergang der Hölle (German Edition)
besessen hatte. So sah sie nun aus, als wäre sie einfach in schwarze Farbe getaucht worden. Der Rücken war auch bei diesem Anzug offen, um Platz für Dämonenflügel zu lassen.
Bevor sie die »Druckerei« verließ, hatte Frank Lyre Vee ein Paket abgenutzter Bücher ausgeliehen. Es waren die gleichen Titel, die Alighieri ihr gezeigt hatte: Tagebuch aus der Hölle, Schöne Hölle und Stimmen aus der Hölle. Er hatte auf den Einband von Schöne Hölle getippt und gesagt: »Das hier habe ich geschrieben, aber lesen Sie zuerst das Tagebuch . Betrachten Sie es als Orientierungshilfe über die Hölle in den Zeiten vor der Revolution. In meinem Buch gibt’s übrigens auch ein paar heiße Sexszenen.« Er hatte ihr zugezwinkert und Vee hatte gekichert, erleichtert, dass sie Alighieris Büro als Bürgerin von Freetown verlassen hatte.
Sie hockte in ihrer kleinen Kabine auf der Schlafbank und hatte schon einige Einträge im Tagebuch aus der Hölle gelesen, als jemand an die Wand neben der Türöffnung klopfte, die lediglich von herabhängenden Streifen schwarzen Gummis verdeckt wurde. Sie teilte den Vorhang mit den Händen und erschrak, als sie die Gestalt sah, die auf der Schwelle stand. Es handelte sich um einen der roboterhaften Dämonen, vielleicht denselben, den sie bei ihrer Ankunft in Freetown beim Wachdienst gesehen hatte.
Sein schaufelartiges Gesicht aus Knochen und das einzelne rote Auge in der Mitte starrten sie an. Die in automatische Waffen auslaufenden Gliedmaßen fehlten ebenfalls nicht. Zuvor hatte Jay infrage gestellt, ob diese Wesen überhaupt sprechen konnten, doch jetzt drang eine klare, wenngleich monotone Stimme irgendwo aus dem Körper des Maschinenmenschen: »Folgen Sie mir bitte. Jemand erwartet Sie.«
»Wer?« Sie konnte nicht anders, als ein wenig Misstrauen zu verspüren. Waren ihnen nun doch noch Bedenken hinsichtlich ihrer Person gekommen? »Palladino? Alighieri?«
»Sie kennen ihn als Armdran. Er hat sich freiwillig gemeldet, um Ihnen bei der Orientierung in Freetown behilflich zu sein – Sie herumzuführen, Ihnen zu helfen, Arbeit und eine dauerhafte Wohnung zu finden und so weiter.«
»Ah. Armdran hat sich also freiwillig gemeldet, was?«, musste Vee grinsen. »Okay, dann nehme ich an, es ist Zeit, dass ich meinem virtuellen Freund Armdran in der Wirklichkeit begegne … sozusagen.« Vee legte das Buch beiseite. »Gehen wir.«
Sie legten eine große Entfernung miteinander zurück – es fühlte sich an, als durchquerten sie das Stadtgebäude in voller Länge –, doch sie nahm an, dass die Zeit, die man mit solchen Bemühungen verbrachte, keine größere Rolle spielte, wenn man unsterblich war. (Wie lange mussten die Arbeitszeiten sein? Konnten »Überstunden« sich auf ein zusätzliches Jahrzehnt im Büro belaufen?)
Immerhin bekam sie auf diese Weise mehr von Freetown zu sehen. Das Erscheinungsbild der Stadt variierte entsprechend der Charakteristiken der früheren Gebäude von Tartarus, aus denen sie hervorgegangen war. Sie alle waren miteinander verschmolzen, um das Konstrukt zu bilden. Sie durchquerten riesige Gewächshäuser, in denen essbare Höllenpflanzen in rauen Mengen angebaut wurden. Ihr Wachstum wurde durch Lösungen und Prozesse beschleunigt, die man früher bei der Produktion neuer Dämonen eingesetzt hatte.
Sie passierten Märkte, auf denen man diese Nahrungsmittel kaufen konnte (wobei zu ihrer grenzenlosen Erleichterung kein Fleisch im Angebot war), zusammen mit Kleidung und zahlreichen anderen Artikeln, die oft auf raffinierte Art und Weise aus gänzlich unerwarteten Materialien gezaubert wurden. Sie freute sich darauf, in Zukunft mehr Zeit damit zu verbringen, solche Märkte zu erkunden – ganz zu schweigen davon, dass der Anblick des Gemüses tief in ihren Gedärmen ein lange unterdrücktes Hungergefühl wach kitzelte.
Schließlich gelangten sie zu einem der Gebäude, die, wie sich herausstellte, die Grenzen von Tartarus markiert hatten – zu einem Endpunkt des Konstrukts. Hier betraten sie eine große offene Halle, die wie das Innere eines Flugzeughangars aussah. Wuselnde Aktivität erfüllte jeden freien Zentimeter. Maschinen wurden zusammen- oder auseinandergebaut, Computerterminals sowohl von Menschen als auch von einer Vielzahl von Dämonen bedient. Viele davon entstammten der mechanischen Gattung wie ihr Begleiter, doch es gab eine große Vielfalt unterschiedlicher Formen. Dicke Stromkabel rankten sich kreuz und quer über den Boden, aus Schweißgeräten
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