Der Untergang der Shaido
Augenwinkel wiesen feine Fältchen auf, aber manchmal fiel es schwer, nicht zu vergessen, dass sie hundert Jahre älter als jede lebende Aes Sedai und nicht ein halbes Dutzend Jahre jünger als er war. Er musste jemanden finden, der sie weiter unterrichtete.
»Rand alʹThor«, sagte Min ärgerlich, »du wirst doch wohl diese Frau nicht…«
»Deine Sicht irrt dich nie«, unterbrach er sie. »Was du siehst, passiert auch. Du hast versucht, die Dinge zu ändern, und es hat nie funktioniert. Das hast du mir selbst gesagt. Wie kommst du also darauf, dass es diesmal anders sein soll?«
»Weil es anders sein muss«, sagte sie aufgebracht. Sie beugte sich vor, als wollte sie sich auf ihn stürzen. »Weil ich will, dass es anders ist. Weil es anders sein wird. Davon abgesehen weiß ich nicht, ob alles eintrifft, was ich sehe. Menschen verändern sich. Ich habe mich bei Moiraine geirrt. Ich habe alle möglichen Dinge in ihrer Zukunft gesehen, und sie ist tot. Vielleicht sind auch ein paar andere der Dinge, die ich gesehen habe, niemals wahr geworden.«
Es darf diesmal nicht anders sein, keuchte Lews Therin.
Du hast es versprochen!
Ein leichtes Stirnrunzeln erschien auf Logains Gesicht, und er schüttelte den Kopf. Es konnte ihm nicht gefallen, hören zu müssen, dass Min ihre Fähigkeiten in Frage stellte. Beinahe bedauerte es Rand, dass er ihm von ihrer Sicht erzählt hatte, auch wenn es seinerzeit nur eine harmlose Ermunterung zu sein schien. Der Mann hatte doch tatsächlich Aes Sedai gebeten, Mins Gabe zu bestätigen, obwohl er klug genug gewesen war, seine Zweifel nicht vor Rand zum Ausdruck zu bringen.
»Ich verstehe nicht, warum diese junge Frau so leidens chaftlich ist, was Euch betrifft, mein Junge«, sagte Cadsuane nachdenklich. Sie schürzte nachdenklich die Lippen, dann schüttelte sie den Kopf und ließ den Schmuck baumeln.
»Oh, Ihr seid ja ganz attraktiv, schätze ich mal, aber ich kann das einfach nicht nachvollziehen.«
Um weiteren Streit mit Min zu vermeiden - sie nannte das anders, sie bezeichnete es als »Gespräch«, aber er kannte den Unterschied -, holte Rand Verins Brief aus der Tasche und brach das gelbe Wachssiegel, in das der Große Schlang enring eingeprägt war. Die spinnenhafte Handschrift der Braunen Schwester bedeckte den größten Teil der Seite; ein paar Buchstaben waren verschwommen, wo das Papier Regentropfen abbekommen hatte. Er ging zur nächsten Laterne. Sie stank leicht nach ranzigem Öl.
Wie ich bereits gesagt habe, habe ich hier getan, was ich tun konnte. Ich glaube, ich kann meinen Eid Euch gegenüber anderswo besser erfüllen, also bin ich mit Tomas abgereist. Schließlich gibt es viele Möglichkeiten, Euch zu dienen, und viele Notwendigkeiten. Ich bin überzeugt, dass Ihr Cadsuane vertrauen könnt, und Ihr solltet auf ihren Rat hören, aber hütet Euch vor den anderen Schwestern, eingeschlossen denen, die Euch die Treue geschworen haben. Einer Schwarzen Schwester bedeutet dieser Eid gar nichts, und selbst jene, die im Licht wandeln, könnten ihn auf eine Weise interpretieren, die Euch nicht gefallen dürfte. Ihr wisst bereits, dass nur wenige diesen Eid in allen Dingen im Sinne absoluten Gehorsams sehen. Einige mögen andere Schlupflöcher finden. Ob Ihr nun Cadsuanes Rat folgt oder nicht, und ich finde, Ihr solltet ihn befolgen, hört aber auf jeden Fall auf meinen. Seid sehr misstrauisch.
Die Unterschrift lautete schlicht »Verin«.
Er grunzte mürrisch. Nur wenige waren der Meinung, dass der Eid absoluten Gehorsam bedeutete? Wohl eher keine. Für gewöhnlich gehorchten sie, aber das bedeutete nicht, dass sie auch dahinterstanden. Man musste nur Verin als Beispiel nehmen. Sie warnte ihn davor, dass die anderen Dinge taten, die er vermutlich missbilligen würde, aber sie hatte nicht gesagt, wo sie hinging oder was sie dort tun wollte. Fürchtete sie, er würde damit nicht einverstanden sein? Vielleicht war es nur die Geheimniskrämerei einer Aes Sedai. Für Schwestern waren Geheimnisse so natürlich wie das Atmen.
Als er Cadsuane den Brief reichte, zuckte ihre linke Augenbraue. Sie musste wirklich überrascht gewesen sein, um sich so viel anmerken zu lassen, aber sie nahm den Brief und hielt ihn ins Laternenlicht.
»Eine Frau mit vielen Masken«, sagte sie schließlich, als sie den Brief zurückgab. »Aber sie erteilt da einen guten Rat.«
Was hatte das mit den Masken denn zu bedeuten? Er wollte sie danach fragen, aber da erschienen Loial und der Älteste Haman
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