Der Untergang des Abendlandes
er trotzdem den Höhepunkt der späteren römischen Kriegsgeschichte bildet, bestätigt nur deren rasch abnehmenden Gehalt an wirklichen Leistungen.] Ihre
klassischen
Kriege waren die gegen die Samniten, gegen Pyrrhus und Karthago. Ihre große Stunde war Cannä. Es gibt kein Volk, das Jahrhunderte hindurch auf dem Kothurn steht. Das preußisch-deutsche, das die mächtigen Augenblicke von 1813, 1870 und 1914 hatte, besitzt deren mehr als die übrigen.
Ich lehre hier den
Imperialismus
, als dessen Petrefakt Reiche wie das ägyptische, chinesische, römische, die indische Welt, die Welt des Islam noch Jahrhunderte und Jahrtausende stehen bleiben und aus einer Erobererfaust in die andere gehen können – tote Körper, amorphe, entseelte Menschenmassen, verbrauchter Stoff einer großen Geschichte –, als das typische Symbol des Ausgangs begreifen. Imperialismus ist reine Zivilisation. In dieser Erscheinungsform liegt unwiderruflich das Schicksal des Abendlandes. Der kultivierte Mensch hat seine Energie nach innen, der zivilisierte nach außen. Deshalb sehe ich in Cecil Rhodes den ersten Mann einer neuen Zeit. Er repräsentiert den politischen Stil einer ferneren, abendländischen, germanischen, insbesondere deutschen Zukunft. Sein Wort »Ausdehnung ist alles« enthält in dieser napoleonischen Fassung die eigentlichste Tendenz einer
jeden
ausgereiften Zivilisation. Das gilt von den Römern, den Arabern, den Chinesen. Hier gibt es keine Wahl. Hier entscheidet nicht einmal der bewußte Wille des einzelnen oder ganzer Klassen und Völker. Die expansive Tendenz ist ein Verhängnis, etwas Dämonisches und Ungeheures, das den späten Menschen des Weltstadiums packt, in seinen Dienst zwingt und verbraucht, ob er will oder nicht, ob er es weiß oder nicht. [Die modernen Deutschen sind das glänzende Beispiel eines Volkes, das ohne sein Wissen und Wollen expansiv geworden ist. Sie waren es schon, als sie noch das Volk Goethes zu sein glaubten. Bismarck hat diesen tiefern Sinn der durch ihn begründeten Epoche nicht einmal geahnt. Er glaubte den
Abschluß
einer politischen Entwicklung erreicht zu haben, vgl. Bd. II, S. 1089.] Leben ist die Verwirklichung von Möglichem, und für den Gehirnmenschen
gibt es nur extensive Möglichkeiten.
[So war vielleicht das bedeutende Wort Napoleons an Goethe gemeint: »Was will man heute mit dem Schicksal? Die Politik ist das Schicksal.«] So sehr der heutige, noch wenig entwickelte Sozialismus sich gegen die Expansion auflehnt, er wird eines Tages mit der Vehemenz eines Schicksals ihr vornehmster Träger sein. Hier rührt die Formensprache der Politik – als unmittelbarer intellektueller Ausdruck einer Art von Menschentum – an ein tiefes metaphysisches Problem: an die durch die unbedingte Gültigkeit des Kausalitätsprinzips bestätigte Tatsache, daß
der Geist das Komplement der Ausdehnung ist
.
Es war völlig aussichtslos, wenn in der dem Imperialismus zutreibenden chinesischen Staatenwelt zwischen 480 und 230 (antik etwa 300-50) das vor allem von dem »Römerstaate« Tsin [Der denn auch dem Imperium endlich seinen Namen gab: Tsin = China.] praktisch und von dem Philosophen Dschang-yi theoretisch vertretene Prinzip des Imperialismus
(lienheng)
durch den Gedanken eines Völkerbundes
(hohtsung)
bekämpft wurde, der sich auf manche Gedanken des Wang-hü stützte, eines tiefen Skeptikers und Kenners der Menschen und der politischen Möglichkeiten dieser Spätzeit. Sie sind beide Gegner der Ideologie des Laotse und seiner Abschaffung der Politik, aber der
lienheng
hatte den natürlichen Gang der expansiven Zivilisation für sich. [Vgl. Bd. II, S. 1081 f., 1099.]
Rhodes erscheint als der erste Vorläufer eines abendländischen Cäsarentypus, für den die Zeit noch lange nicht gekommen ist. Er steht in der Mitte zwischen Napoleon und den Gewaltmenschen der nächsten Jahrhunderte, wie jener Flaminius, der seit 232 die Römer zur Unterwerfung der cisalpinen Gallier und damit zum Beginn ihrer kolonialen Ausdehnungspolitik drängte, zwischen Alexander und Cäsar. Flaminius war streng genommen [Denn seine wirkliche Macht entsprach nicht mehr dem Sinn irgendeines Amtes.] ein Privatmann von staatsbeherrschendem Einfluß in einer Zeit, wo der Staatsgedanke der Gewalt wirtschaftlicher Faktoren erliegt, in Rom sicherlich der erste vom cäsarischen Oppositionstypus. Mit ihm endet die
Idee des Staatsdienstes
und es beginnt der nur mit Kräften, nicht mit Traditionen rechnende Wille zur Macht. Alexander
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