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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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gemacht wurde, den verlornen Zusammenhang durch bewußtes Anknüpfen erst an die Franzosen, dann an Shakespeare, an das Volkslied, endlich durch die Romantiker an die Poesie der Ritterzeit wiederherzustellen, so hat das zum mindesten die einzigartige Erscheinung einer Kunstgeschichte hervorgerufen, die fast ganz aus genialen Ansätzen besteht, ohne je ein Ziel wirklich erreicht zu haben.
    Am Ende des 18. Jahrhunderts vollzieht sich jene merkwürdige geistige Wendung, durch welche das Nationalbewußtsein sich von dem dynastischen Prinzip emanzipieren will. Scheinbar ist das in England schon früher der Fall gewesen; manche werden an die Magna Charta von 1215 denken; andern wird es nicht verborgen sein, daß gerade diese Anerkennung der Nation durch ihren Repräsentanten dem dynastischen Gefühl eine ungezwungene Vertiefung und Verfeinerung gegeben hat, von welcher die Völker des Kontinents weit entfernt blieben. Wenn der moderne Engländer der konservativste Mensch der Welt ist, ohne es zu scheinen, und wenn infolgedessen seine Politik so viel von dem Notwendigen durch nationalen Takt und schweigend statt durch laute Auseinandersetzungen erledigt und deshalb bis jetzt die erfolgreichste gewesen ist, so beruht das auf der frühen
Emanzipation des dynastischen Gefühls
von dem Ausdruck der monarchischen Gewalt.
    Dagegen bedeutet die französische Revolution in dieser Richtung nur einen Erfolg des Rationalismus. Sie hat weniger die Nation als den Begriff der Nation befreit. Den abendländischen Rassen ist das Dynastische ins Blut gedrungen; dem Geist ist es eben deshalb ein Ärgernis. Denn eine Dynastie repräsentiert die Geschichte, ist die fleischgewordene Geschichte eines Landes, und der Geist ist zeitlos und ungeschichtlich. Alle Ideen der Revolution sind »ewig« und »wahr«. Allgemeine Menschenrechte, Freiheit und Gleichheit sind Literatur und Abstraktion, keine Tatsachen. Man mag das alles republikanisch nennen; gewiß ist, daß es wieder eine Minderheit war, welche im Namen aller das neue Ideal in die Welt der Tatsachen einzuführen suchte. Sie wurde eine Macht, aber auf Kosten des Ideals. Sie hat in der Tat nur die gefühlte Anhänglichkeit durch den überzeugten Patriotismus des 19. Jahrhunderts ersetzt, durch einen nur in unserer Kultur möglichen zivilisierten Nationalismus, der selbst in Frankreich und heute noch unbewußt dynastisch ist, durch den Begriff des
Vaterlandes als dynastischer Einheit
, der zuerst in der spanischen und preußischen Erhebung gegen Napoleon, dann in den deutschen und italienischen
dynastischen
Einigungskämpfen hervortrat. Es beruht auf dem Gegensatz von Rasse und Sprache, von Blut und Geist, daß man dem Genealogischen nun das ebenfalls spezifisch abendländische Ideal der Muttersprache entgegenstellt; es gab in beiden Ländern Schwärmer, welche die einigende Gewalt der Kaiser- und Königsidee durch die Verbindung von Republik und Poesie ersetzen zu können glaubten. Es war etwas Rückkehr – von der Geschichte – zur Natur darin. Die Erbfolgekriege sind durch Sprachenkämpfe abgelöst worden, in denen eine Nation Fragmenten einer anderen ihre Sprache und damit ihre Nationalität aufzuzwingen sucht. Aber niemand wird übersehen, daß auch der rationalistische Begriff der Nation als Spracheinheit vom dynastischen Gefühl zwar absehen, es aber nicht aufheben kann, sowenig ein hellenistischer Grieche das Polisbewußtsein oder ein moderner Jude das nationale
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innerlich überwindet. Die »Muttersprache« ist bereits ein Produkt dynastischer Geschichte. Ohne die Capetinger würde es keine französische Sprache geben, sondern eine romanisch-fränkische im Norden und eine provenzalische im Süden; die italienische Schriftsprache ist ein Verdienst der deutschen Kaiser, vor allem Friedrichs II. Die modernen Nationen sind zunächst die Bevölkerungen alter dynastischer Gebiete. Trotzdem hat der zweite Begriff der Nation als schriftsprachlicher Einheit im Laufe des 19. Jahrhunderts die österreichische vernichtet und die amerikanische vielleicht geschaffen. Es gibt seitdem in allen Ländern zwei Parteien, welche die Nation in einem entgegengesetzten Sinne vertreten, als dynastisch-historische und als geistige Einheit – Parteien der Rasse und der Sprache –, aber diese Erwägungen greifen schon in die Probleme der Politik hinüber (Kap. IV).
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    Im stadtlosen Lande war es der Adel, welcher zuerst die Nation in einem höheren Sinne vertrat. Das Bauerntum, geschichtslos und

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