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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Habsburg. Daß es Lothringen als Namen eines Landes, aber nicht als Volk gibt, ist die Folge der Kinderlosigkeit Lothars II.
    Es ist die Kaiseridee, welche eine Anzahl von Urvölkern der karolingischen Zeit zur deutschen Nation verschmolzen hat. Deutschland und Kaisertum sind untrennbare Begriffe. Der Untergang der Staufer bedeutete den Ersatz einer großen Dynastie durch eine Handvoll kleine und kleinster; er hat die deutsche Nation gotischen Stils noch vor dem Beginn des Barock innerlich gebrochen, gerade damals, als in führenden Städten – Paris, Madrid, London, Wien das Nationalbewußtsein auf eine geistigere Stufe gehoben wurde. Wenn der Dreißigjährige Krieg nicht etwa die Blüte Deutschlands vernichtete, sondern im Gegenteil dadurch, daß er in dieser trostlosen Form überhaupt möglich war, den längst vollzogenen Verfall nur bestätigte und offenbarte, so war das die letzte Folge des Sturzes der Hohenstaufen. Es gibt vielleicht keinen stärkeren Beweis dafür, daß faustische Nationen dynastische Einheiten sind. Aber die Salier und Staufer haben auch aus Romanen, Langobarden und Normannen zum mindesten der Idee nach die italienische Nation geschaffen, die erst über das Kaisertum hinweg an die Römerzeit anknüpfen konnte. Wenn hier auch die fremde Gewalt den Widerstand des Bürgertums hervorrief, der beide Urstände spaltete und den Adel auf die kaiserliche, die Kirche auf die städtische Seite zog; wenn auch in diesem Kampfe zwischen Ghibellinen und Guelfen der Adel früh seine Bedeutung verlor und das Papsttum durch die antidynastischen Städte zur politischen Vormacht emporstieg; wenn auch zuletzt nur ein Gewirr winziger Raubstaaten übrig blieb, deren »Renaissancepolitik« dem überfliegenden weltpolitischen Geiste der kaiserlichen Gotik mit derselben Feindseligkeit gegenübertritt wie Mailand einst dem Willen Barbarossas, so ist doch das Ideal der Una Itaria, für welches Dante den Frieden seines Lebens geopfert hat, eine rein dynastische Schöpfung der großen deutschen Kaiser. Die Renaissance hat mit dem geschichtlichen Horizont des städtischen Patriziats die Nation von seiner Erfüllung so weit abgeführt, als es möglich war, und das Land während des ganzen Barock zum Objekt fremder Hausmachtpolitik erniedrigt. Erst die Romantik von 1800 hat das gotische Gefühl wieder erweckt, und zwar in einer Stärke, welche das Gewicht einer politischen Macht besaß.
    Das französische Volk ist durch seine Könige aus Franken und Westgoten zur Einheit verschmolzen worden. Es hat 1214 bei Bouvines zum ersten Male gelernt, sich als Ganzes zu fühlen; und noch bedeutsamer ist die Schöpfung des Hauses Habsburg, das aus einer Bevölkerung, die weder Sprache noch Volkstum noch Überlieferung verband, die österreichische Nation entstehen ließ, die ihre Proben – die ersten, auch die letzten – in der Verteidigung Maria Theresias und im Kampfe gegen Napoleon abgelegt hat. Die politische Geschichte der Barockzeit ist im wesentlichen die Geschichte der Häuser Bourbon und Habsburg. Der Aufstieg der Wettiner an Stelle der Welfen ist der Grund, weshalb »Sachsen« um 800 an der Weser und heute an der Saale liegt. Dynastische Ereignisse, zuletzt das Eingreifen Napoleons, haben bewirkt, daß die Hälfte der Bayern an der Geschichte Österreichs teilnahm und daß der bayerische Staat zum größeren Teil aus Franken und Schwaben besteht.
    Die späteste Nation des Abendlandes ist die preußische, eine Schöpfung der Hohenzollern, wie die Römer die letzte Schöpfung des antiken Polisgefühls und die Araber die letzte aus einem religiösen
consensus
gewesen sind. Bei Fehrbellin hat sich die junge Nation legitimiert, bei Roßbach siegte sie für Deutschland. Es war Goethe, der mit seinem unfehlbaren Blick für geschichtliche Epochen die damals entstandene »Minna von Barnhelm« als die erste deutsche Dichtung von spezifisch nationalem Gehalt bezeichnete. Es ist wieder ein sehr tiefes Zeugnis für die dynastische Bestimmtheit abendländischer Nationen, daß Deutschland jetzt mit einem Schlage seine dichterische Sprache wiederfand. Mit dem Zusammenbruch des staufischen Kaisertums war auch die deutsche Literatur gotischen Stils zu Ende gewesen. Was in den folgenden Jahrhunderten, der Großzeit aller westlichen Literaturen, hier und da hervortrat, verdient diesen Namen nicht. Mit dem Siege Friedrichs des Großen beginnt eine neue Dichtung: von Lessing bis Hebbel, das heißt von Roßbach bis Sedan. Wenn damals der Versuch

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